Thomas
Das Interview Februar 2024
Thomas - 37 Jahre
Mit einem schelmischen Grinsen kam Thomas in die Küche, nach dem Rebecca schon eine Weile weg war. »Ist die Luft rein?
Ich sah ihn fragend an. »Wie bitte?«
Er lachte kurz auf, während er die Tür hinter sich zumachte. »Ich geh Rebecca lieber aus dem Weg. Sie ist gerade ziemlich pissed, was meine Wenigkeit betrifft.«
»Was hast du denn getan?« Ich stand dabei auf, um ihn zu begrüßen.
Er nahm meine Hand in beide Hände und schüttelte sie herzlich. »Kein Plan. Wahrscheinlich ist meine pure Existenz schon zu viel.«
Wieder wollte ich nicht, dass er mich loslässt. Seine starken Hände fühlten sich einfach gut an. »Es scheint dich aber trotzdem zu amüsieren?« Wir setzten uns beide hin.
»Ich liebe die Herausforderung, und Rebecca ist noch viel mehr als das.« Sein strahlendes Grinsen war ansteckend.
»Wenigstens eine Person mit guter Laune.« Ich lächelte zurück, während er sich mit links über die zusammengebundenen Haare fuhr. »Dann lass uns doch gleich loslegen. »Was löst bei dir immer wieder Begeisterung aus?«
»Mein Herz schlägt immer höher bei einem gut genährten, temperamentvollen Alligator, den ich bändigen darf.« Er beugte sich über den Tisch und fuhr im flüsterten fort: »Das begeistert mich auch bei Frauen.«
Ich verdrehte die Augen, aber konnte das Lachen nicht unterdrücken. »Wofür setzt du dich besonders ein? Welche Ideale vertrittst du?«
»Ich bin kein Idealist. Aber ich versuche so viel über Natur- und Umweltschutz aufzuklären, wie es mir möglich ist. Ich setze mich besonders für die einheimische Artenvielfalt in Florida ein.«
»Was bringt dich zum Lachen?«
»Oft lache ich über Dinge, die andere eher befremdlich finden. Auch im Kino lache ich an sehr unpassenden Stellen.«
»Wie siehst du dich selbst?«
»Ich glaube schon, dass ich ganz ansehnlich bin, auch wenn es in letzter Zeit wirklich anstrengend war in Form zu kommen.«
Ich hatte Fotos von ihm gesehen, wo er nur in Badehose mit Alligatoren schwimmt und musste aufpassen, nicht zu sabbern. Er war definitiv mehr als nur ansehnlich. Schade, dass er sonst immer so weite Sachen trug. Auch heute hatte er einen unscheinbaren, schwarzen Pullover an. »Welchen Rat würdest du deinem jüngeren Ich geben?«
»Finger weg von Drogen.«
»Das klingt sinnvoll. Und was war der beste Ratschlag, den du je bekommen hast?«
»Mit Kraftsport anzufangen. Das hat einfach alles verändert. Ich wurde endlich gesehen und das hat mein Selbstwertgefühl enorm gesteigert. Davor war ich mir nicht sicher, ob das Leben sich überhaupt lohnt.«
»Das tut mir leid, dass du dich davor so gefühlt hattest.«
Er winkte ab. »Es ist sehr lange her.«
»Mit welcher Person würdest du gern einen Tag dein Leben tauschen?«
»Ich habe nicht das Bedürfnis jemand anders sein zu wollen, auch nicht für einen Tag.«
»Was war das gemeinste, was du je getan hast?«
»Viele haben Angst vor mir, weil ich so groß und dunkelhaarig bin. Ich war aber noch nie bewusst gemein zu jemandem. Manchmal bin ich zu direkt oder aufdringlich, was schlecht ankommt, aber es fällt mir schwer mich angemessen zu verhalten, also lass ich es oft lieber ganz sein und ziehe mich zurück.«
Das er etwas drüber mit seinem Geflirte war, ist mir schon letztes Mal aufgefallen. Andererseits hätte es mich nicht gestört, wäre ich Single gewesen. Direktheit fand ich schon immer ansprechend.
»Was würde dein jüngeres ich als erstes in deinem jetzigen Körper machen?«
»Fluchen, wie viel schwerer jetzt das Training geworden ist.«
»Hattest du eine glückliche Kindheit?«
»Dank Evan war es erträglich. Er hatte alles dafür getan, mich vor der Wut unseres Vaters zu schützen. Aber wirklich glücklich war es für uns beide nicht.«
»Würdest du lieber in die Vergangenheit, oder in die Zukunft reisen?«
»In die Vergangenheit natürlich! Ich würde so gern Dinosaurier sehen.
Seine Augen leuchteten wie die eines Kindes, so dass ich lachen musste. »Glaubst du an ein Leben nach dem Tod?«
»Ich bin nicht besonders philosophisch oder spirituell, also hab ich mir dazu auch noch nie eine Meinung gebildet. Das kann ich machen, wenn ich Tod bin. Aber ich halte es nicht für ausgeschlossen.« Er grinste wieder sehr breit.
»Du lebst so richtig im hier und jetzt, außer es handelt sich um Urzeitmonster?«
»Jawohl, Ma‘am.«
»Was bedeutet Liebe für dich?«
Er wirkte nachdenklich. »Ich habe mich schon oft verliebt, aber wurde dann enttäuscht. Deswegen versuche ich solche Gefühle zu ignorieren und einfach nur den Moment zu genießen, denn dieser könnte viel zu schnell vorbei sein.«
Ich wunderte mich, dass er bis jetzt keine langfristige Partnerin gefunden hatte. Er hatte bestimmt seine Schwächen, aber er schien im Kern ein sehr guter Kerl zu sein. »Wie war dein erster Kuss?«
Thomas errötete leicht. »Oh, dass war sehr intensiv und wirklich schön. Ich war so aufgeregt, da ich es so viele Jahre schon unbedingt erleben wollte.«
»Wie alt warst du denn, wenn ich fragen darf?«
»Ich war 18 und Evan hat das für mich … ähm … organisiert.« Es war ihm sichtlich peinlich darüber zu sprechen, aber er grinste bei der bloßen Erinnerungen über beide Ohren.
»Na gut, ich bohre nicht weiter. Was macht für dich einen attraktiven Menschen aus?«
»Ich bin nicht kompliziert. Ich finde so ziemlich alles Weibliche attraktiv.« Er lachte laut auf. »Das klingt echt verzweifelt. Der Charakter muss natürlich auch passen. Ich mag eingebildete Frauen nicht sehr gern.«
»Und welche Eigenschaften findest du besonders anziehend.«
»Wenn ich keine Angst haben muss, sie zu zerbrechen. Und wenn sie selbstbewusst oder sogar dominant ist, liege ich dieser Frau zu Füßen.«
»Und bei Männern?«
Er schüttelte grinsend den Kopf. »Ich bin da etwas anders als mein Bruder gepolt. Ich habe keine bisexuellen Tendenzen.«
»Wie zeigst du jemanden, dass er dir gefällt?«
»Ich versuche zu flirten.«
»Oh.«
Thomas lächelte selbstzufrieden und lehnte sich zurück, während er mich gründlich musterte.
Auch wenn es hier kühler war, als letztes Jahr in Florida, hatte ich wieder das Bedürfnis ein Fenster zu öffnen. Ich trank erst einen ausgiebigen Schluck Wasser, senkte meinen Blick und las dann die nächste Frage vor: »Wenn du eine Sache an dir ändern könntest, was wäre das?«
Er hob seinen rechten Arm und ballte mehrfach hintereinander die Faust um sie wieder locker zu lassen. »Ich hätte gern meine Feinmotorik zurück. So kann ich meinen Job leider nicht mehr in der Form ausüben, wie früher.«
»Du kannst keine Alligatoren mehr fangen?«
»Nein, das ist jetzt zu gefährlich geworden. Meine Hand krampft oft oder ich verliere die Kontrolle und kann dann das Seil nicht mehr festhalten.«
»Das tut mir leid.«
»Ich kann immer noch andere darin ausbilden.«
»Wie stehst du zu einem Wettbewerb? Misst du gern deine Kräfte?«
»Da ich ein schlechter Verlierer bin, mache ich das nicht so gern. Jedenfalls nicht, wenn ich verlieren könnte.«
»Wann bildest du dir über andere eine Meinung? Sofort, oder lernst du sie lieber kennen?«
»Ich bilde mir ziemlich schnell eine Meinung über andere. Meistens mag ich sie nicht.« Er lachte.
»Hast du ein Geheimnis, von dem niemand was weiß?«
»Niemand ist übertrieben. Aber mein Bruder und die anderen von der Band wissen nicht, dass ich hier bin.«
Ich starrte ihn erstaunt an.
»Sie glauben, ich sei auf einer Forschungsreise in Kolumbien.«
»Weil du ihnen das gesagt hast?«
Er zuckte verlegen mit den Schultern.
»Welche Angewohnheit würdest du gern ablegen?«
»Ich glaube, es wäre sinnvoll mit dem Rauchen aufzuhören. Aber spätestens wenn ich unter Stress stehe, verleitet es mich immer wieder.«
»Ich bin seit über 15 Jahren Nichtraucherin, und selbst jetzt überkommt mich bei Stress manchmal das Bedürfnis nach einer Kippe.«
»Verdammt. Ich habe gehofft, das lässt nach.«
»Es ist nicht mehr so stark, wie früher, keine Sorge. Gibt es etwas, dass du besser kannst als andere?«
Thomas grinste wieder von Ohr zu Ohr. »Ich mag keinen wilden Alligator mehr mit dem Seil fangen können, aber das andere kann ich immer noch sehr gut und laut zufriedener … Beglückten, besser als viele andere.«
Ich wollte wieder die Augen verdrehen, aber mich wurmte in diesem Moment eine andere Frage, bevor ich sie vergaß: »Kannst du eigentlich noch Schlagzeug spielen?«
Sein Lächeln verschwand. »Ich hoffe, dass es mit genug Training wieder klappt. Momentan ist es noch suboptimal. Mein Glück ist, dass ich das meiste mit Links mache.«
»Ich drück dir die Daumen.« Ich fragte mich, was ihm passiert war, dass er nun motorisch eingeschränkt war. Aber ich wollte auch nicht zu tief bohren. Es reichte, das alle anderen so schlecht gelaunt waren. Ich musste nicht auch noch ihm die gute Laune nehmen. »Welches Geräusch hasst du?«
»Das hängt von meiner Stimmung ab. Aber manchmal stört mich alles, was zu laut ist oder sehr schrill piepsig ist. Außer es kommt von einem Tier.«
»Worauf bist du in anderen Kulturen neidisch?«
»Florida ist so liberal und verrückt, es gibt’s nichts worauf man neidisch sein braucht. Man kann leben, wie man will.«
»Das klingt cool.«
»Hat auch seine Nachteile. Google mal >Florida Man<.« Er lachte wieder.
»Nacht oder Tag?«
»Das ist schwierig zu beantworten. Ich sag mal so, es kommt drauf an, welches Tier ich gerade erfassen möchte. Also beides? Kann man das gelten lassen?«
»Ja, ich lasse es gelten. Warm oder kalt?«
»Warm. Sobald die Leguane von den Bäumen fallen, ist es mir definitiv zu kalt.«
»Wann fallen den Leguane von den Bäumen?« Ich lachte. Das klang so absurd.
»Unter 45 Fahrenheit. Ich glaub das sind 7 grad Celsius? Dann kommen Leguane in eine Kältestarre und fallen von den Bäumen.«
»Ernsthaft? Das hab ich ja noch nie gehört.«
»Willkommen in Florida.« Er lachte mit mir.
Dieses Interview war eine echte Wohltat nach den Anderen.
»Hättest du lieber mehr Zeit oder mehr Geld?«
»Ich hab von Beidem genug.«
»Wenn du einen Wunsch frei hättest, welcher wäre das?«
»Dass der Konflikt um mich herum ein Ende nimmt.«
»Das klingt sehr selbstlos.«
»Ich habe sonst alles, was ich brauche und bin genügsam.«
»Danke für dieses unterhaltsame Gespräch.«
»Sehr gern.«
Er verabschiedete sich mit einem Handkuss von mir und verließ den Raum. Ich packte meine Tasche und fuhr nach Hause.