Rebecca
Das Interview Februar 2024
Rebecca - 36 Jahre
Nach einer halben Stunde Pause vom Interview mit Evan, kam Rebecca in die Küche. Gerade in diesem Augenblick hatte ich mir einen Keks in den Mund geschoben und versuchte schnell aufzukauen, während ich aufstand und sie zur Begrüßung umarmte. Das war irgendwie peinlich, aber sie schien es nicht zu registrieren. Generell wirkte sie sehr nüchtern und emotionslos, als sie sich mir gegenüber hinsetzte.
»Was löst bei dir immer wieder Begeisterung aus?«
Sie schien wirklich krampfhaft zu überlegen. »Früher hätte ich die Frage problemlos beantworten können. Aber jetzt fällt mir nichts ein.«
»Was früher bei dir Begeisterung ausgelöst hat, tut es heute nicht mehr?«
»Definitiv nicht mehr. Ganz im Gegenteil.« Rebecca wirkte zornig.
Irgendwie ahnte ich, dass sie kein Fan mehr von Evans Band, Instant Sound, mehr war. Letztes Jahr war es ihr sogar peinlich, wie sehr sie die Band und Evan geliebt hatte. »Oh Boy, was hat er nur angerichtet?« Ich sagte es nur zu mir selbst, als wirklich nachzufragen, aber Rebecca reagierte trotzdem.
»Erwähne ihn besser nicht in meiner Gegenwart, es ist schon schwer genug den anderen von der Sorte zu ertragen.«
Ich beließ es dabei und fragte nicht weiter nach, sondern fuhr mit der nächsten Frage fort. »Wofür setzt du dich ein? Hast du Ideale?«
»Ich setzte mich für Gleichberechtigung ein und das werde ich immer tun.«
So wie sie das sagte, konnte man ihr definitiv nicht widersprechen. »Was bringt dich zum lachen?«
»Momentan nicht viel.«
Ich seufzte. Sie zu interviewen war so angenehm, wie sich mit einer Granitplatte zudecken zu wollen. »Wie siehst du dich selbst?«
»Momentan als die Dumme vom Dienst.«
»Du fühlst dich ausgenutzt?«
Sie seufzte herablassend. »Schwer zu sagen, irgendwie schon. Aber was soll ich tun? Lena braucht mich, sie hat sonst niemanden.«
Ich hörte etwas Mitleid, zwischen der Frust und der Wut, in ihrer Stimme mitschwingen.
»Also seid ihr noch Freunde?«
Darauf antwortete Rebecca nicht. Sie verschränkte nur ihre Arme und sah äußerst genervt aus.
»Welchen Ratschlag würdest du deinem jüngeren Ich geben?«
»Nicht darauf zu hoffen, dass ein pummeliges Mädchen einen Prinzen verdient hätte.«
Ich hatte das starke Bedürfnis, sie aufzumuntern, aber ich hatte beim besten Willen keine Ahnung wie. »Welcher Ratschlag war der Beste, denn du je bekommen hast?«
»Meine Ziele zu verfolgen, egal was andere davon halten.«
»Das klingt wirklich nach einem guten Ratschlag.« Ich sah dabei auf mein Tablet, weil ich ihrem harten Blick mit den stechenden, blauen Augen kaum standhalten konnte. »Mit welcher Person würdest du gern einen Tag dein Leben tauschen.«
»Ich würde schon echt gern wissen, wie es ist, so ein egoistisches, selbstverliebtes Arschloch zu sein.«
Jetzt verstand ich, warum Evan lieber in Orlando geblieben war. Rebecca hatte ihn echt gefressen. »Wenn wir schon bei Arschlöchern sind. Was war das Gemeinste, was du je getan hast?«
Meine Überleitung ließ ganz kurz ihre Mundwinkel zucken. War das beinahe ein Lächeln?
Sie atmete schwer aus und senkte ihren Blick. »Ich hätte ihr nie sagen sollen, dass sie gehen soll.«
»Zu Lena?«
Rebecca nickte.
»Was würde dein jüngeres Ich tun, wenn es in deinem jetzigen Körper wäre?«
»Eine Diät starten.«
Mein fragender Blick war wohl vielsagend.
»Heute weiß ich, dass es nichts bringt. Aber früher hatte ich noch die Hoffnung, irgendwann schlank zu werden.«
»Verstehe ich. Bei mir wurde es sogar nach jeder Diät schlimmer. Heute versuche ich es mit Sport.«
Es war Rebecca anzusehen, dass sie sich von mir verstanden fühlte. »Dazu fehlt mir einfach die Zeit und die Kraft. Ich bin froh, dass ich den Alltag meistern kann.«
»Das wollen viele nicht verstehen. Es gibt so vieles, was einen im Alltag belasten kann. Da kann man nicht einfach mal abnehmen, wenn die Genetik nicht mitmacht.«
Rebecca seufzte zustimmend.
»Hattest du eine glückliche Kindheit?«
Bei dieser Frage schien sie sich etwas zu entspannen. Ein zaghaftes Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht. »Ja, meine Kindheit war im Großen und Ganzen wirklich sehr schön, wenn man vom Mobbing in der Schule absieht.«
»Würdest du lieber in die Zukunft, oder in die Vergangenheit reisen wollen?«
»Hmm, ich bin mir nicht sicher, ob irgendeines von beidem gescheit wäre. Vielleicht würde noch alles schlimmer kommen, wenn man zufällig etwas in der Vergangenheit ändert. Und was soll ich in der Zukunft, wenn ich dort niemanden kenne?«
»Stimmt, so habe ich bis jetzt noch nicht drüber nachgedacht. Glaubst du an ein Leben nach dem Tod?«
»Ja, das klingt für mich sehr plausibel. Da ich an das Konzept der Seele glaube, denke ich, dass es nach dem Tod irgendwie weiter geht.«
Ich seufzte bei der nächsten Frage. Endlich lief das Interview besser, und dann musste so was kommen. »Was bedeutet Liebe für dich?«
»Ich glaube Liebe macht nicht nur blind, sondern auch blöd. Ich sollte diesem Gefühl weniger Bedeutung zuschreiben.«
»Aber das ist nicht so einfach.«
»Nein, ist es nicht.« zwischen Rebeccas Augenbrauen machte sich wieder die Zornesfalte bemerkbar.
»Wie war dein erster Kuss?«
»Den hatte ich sehr spät, mit 16, aber es war tatsächlich sehr schön. Der Junge war etwas älter und wusste, was er tat.«
»Was macht für dich einen attraktiven Menschen aus?«
»Ich mag Charakter. Das Äußere kann noch so schön sein, wenn der Charakter nicht passt.« Sie klang etwas verbittert.
»Und welche Eigenschaften findest du sonst besonders anziehend?«
»Ich mag große, kräftige Männer, sonst komme ich mir selbst zu dick vor.«
Fast wäre mir rausgerutscht, dass hier doch genau so einer herumläuft, aber das hätte ich wohl nicht überlebt. »Wie zeigst du jemandem, dass er dir gefällt?«
»Ich gehe hin und sag’s ihm.«
»Du wartest also nicht, dass er den ersten Schritt macht?«
»Nein, auf so Spielchen hab ich keine Lust und auch keine Zeit. Wenn mir jemand gefällt, dann will ich auch Klarheit, ob es auf Gegenseitigkeit beruht.«
»Du weißt halt, was du willst.«
»Genau.«
»Wenn du eine Sache an dir ändern könntest, was wäre das?«
»Immer noch mein Gewicht.«
»Stimmt, das hatten wir letztes Jahr schon.«
Rebecca nickte.
»Wie findest du Wettbewerbe? Misst du dich gern mit anderen?«
»Eher nicht. Dass ist wieder so eine Spielerei, für die ich weder Zeit noch Nerven habe.«
»Wann bildest du dir eine Meinung über jemanden? Sofort oder eher später, nach dem du diesen kennengelernt hast?«
»Ich dachte immer, dass ich eine gute Menschenkenntnis hätte. Aber so kolossal, wie ich mich geirrt habe, brauche ich nun definitiv viel Zeit, um jemandem zu vertrauen.«
»Hast du ein Geheimnis, von dem niemand was weiß?«
Rebecca lachte kurz. »Nein, nicht wirklich.«
»Nicht mal ein ganz Kleines?«
Rebecca sah mich belustigt an. »Was stellst du dir vor?«
»Eine geheime Vorliebe? Du weißt schon, eins das man nicht jedem auf die Nase bindet.«
»Na gut.« Rebecca wirkte etwas verlegen. »Ich gehe gern auf Kinky Partys.«
Uhh, das war definitiv ein Geheimnis, über das ich mehr erfahren wollte. »Was kann ich mir unter so einer Party vorstellen?«
»Hauptsächlich wird zu Musik getanzt und alle sind ein bisschen sexy angezogen.«
»Das ist alles?«
»Man kann auch mehr machen, wenn man was passendes findet, oder einen Partner hat. Aber mir geht es tatsächlich darum, einfach frei zu tanzen unter Menschen, die einen nicht verurteilen. Die Leute dort sind in der Regel sehr respektvoll, cool und schräg. Also falle ich nicht auf, wie sonst im Alltag.«
»Ich hätte mir das irgendwie unanständiger vorgestellt.«
Rebecca traute sich wieder hochzusehen. »Sowas gibt’s bestimmt auch, aber diese Veranstaltungen besuche ich nicht. Das ist mir dann doch zu viel und zu intim.«
»Welche Angewohnheit würdest du gern ablegen?«
»Ich weiß, ich wirke jetzt super hart, aber eigentlich bin ich es nicht. Ich kann einfach nicht nein sagen, wenn jemand Hilfe braucht und das ist oft sehr belastend für mich.«
»Das glaube ich dir aufs Wort.« Ich gab ihr einen Moment, bevor ich ihr die nächste Frage stellte. »Gibt es etwas, indem du besser bist, als jeder andere?«
»Ich bin wirklich eine sehr gute Goldschmiedin. Aber ob ich besser bin, als alle Anderen? Diese Frage hab ich mir noch nie gestellt und warum sollte ich das überhaupt? Es gibt immer jemanden, der besser ist. Außerdem ist das auch subjektiv.«
»Welches Geräusch hasst du?«
»Manchmal kann ich die Essgeräusche von anderen schwer ertragen. Nicht immer, aber oft wenn es mir schlecht geht, macht es mich echt fertig und verdirbt mir den Appetit.«
»Worauf bist du in andere Kulturen neidisch?«
»Neidisch vielleicht nicht, aber ich finde es spannend, dass Übergewicht z.B. auf Hawaii nicht so negativ gewertet wird, wie hier, sondern sogar zum Schönheitsideal gehört.«
Ich lächelte sie an. »Da würden wir beide nicht so auffallen.«
»Definitiv nicht.«
»Nacht oder Tag?«
»Tag, auf jeden Fall der Tag.«
»Warm oder Kalt?«
»Wenn ich wählen kann, dann auch immer warm. Ich neige leider zu Rheuma.«
»Das ist eine üble Sache, tut mir leid.«
Rebecca zuckte mit den Schultern. »Danke, man macht halt das Beste daraus.«
»Hättest du lieber mehr Zeit oder mehr Geld?«
»Ich sag’s mal so. Ich hätte schon gern mehr Freizeit bei gleichem Gehalt.« Sie lächelte wieder etwas.
»Wenn du einen Wunsch frei hättest, welcher wäre das?«
»Ich wünschte mir manchmal einfach aufzuwachen und alles so vorzufinden, wie es vor der USA Reise war.«
»Ich hoffe, ihr bekommt das wieder irgendwie hin.«
»Irgendwie wird sich das schon entwickeln.«
Wir standen beide gleichzeitig auf und ich nahm sie zum Abschied fest in die Arme.