Evan

Das Interview Februar 2024

Evan - 43 Jahre

Evan konnte ich diesmal nicht persönlich treffen. Er war gerade in Orlando, hatte aber einem Zoomcall zugestimmt. Trotzdem war ich beinahe so aufgeregt, wie damals beim ersten Interview, wo ich ihn persönlich treffen durfte. Dieser Mann hatte einfach eine Wahnsinnsausstrahlung. Aber ich war auch etwas durch das Interview mit Lena verunsichert. Was war bloß zwischen den beiden vorgefallen? Wieso hatte Lena Angst vor ihm? 
Freundlich begrüßte er mich, während ich vor Schreck beinahe vom Stuhl gekippt wäre. »Hallo Evan. Es freut mich dass du dir die Zeit nehmen konntest.« 
»Selbstverständlich.« 
»Dann legen wir doch gleich los. Was löst bei dir immer wieder Begeisterung aus?« 
»Dolly Parton. Mein Gott, diese Frau begeistert mich immer wieder mit ihrem Performance. Sie ist eine Legende.« 
Ich grinste. Ich hätte mir denken können, dass er mit seinen Antworten wieder komplett aus dem Rahmen fällt. »Du magst Country Music?« 
»Die Klassiker ja, die mag ich sehr.« 
»Wofür setzt du dich ein? Gibt es ein Ideal, dass du vertrittst?« 
»Eine interessante Frage. Ich vertrete das Ideal, dass wir alle gleich behandelt werden sollten, unabhängig von der Sexualität, Hautfarbe, Geschlecht, Herkunft oder Religion. Das war mir immer schon wichtig. Aber dafür setze ich mich doch zu selten wirklich ein.« Evan machte eine Pause und starrte nachdenklich ins Leere. »Ich denke mein Einsatz gilt dem Urwald im Amazonasgebiet. Ich bin zwar kein Naturschützer, wie mein Bruder, aber ich versuche meinen Beitrag zum Erhalt der grünen Lunge der Erde beizutragen. Immerhin verdanke ich dieser auch meinen Reichtum.« 
»Ich erinnere mich. Du handelst mit Holz.« 
»Richtig. Aber ich lasse nicht nur roden, sondern kümmere mich um eine nachhaltige Holzwirtschaft und kaufe jede Fläche, die ich bekommen kann, damit andere dort keinen Kahlschlag betreiben können. Das unterbindet auch einen Teil des Drogenhandels und fördert seriöse Arbeitsplätze in der Landwirtschaft Kolumbiens.« 
»Ich hatte mal recherchiert. Die Fläche entspricht etwa dem Bundesland Bayern.« 
»Die deutschen Bundesländer sind mir nicht so geläufig. Aber wenn du von der Fläche letztes Jahr ausgehst, hat sich diese um einiges Erweitert. Mittlerweile besitze ich auch Regenwald außerhalb Kolumbiens.« 
»Auf jeden Fall klingt es nach viel Verantwortung. Aber ich habe hier noch weitere Fragen zu beantworten.« Ich lachte kurz auf. »Diese hier ist bestimmt genauso weltbewegend, wie deine Arbeit. Was bringt dich zum Lachen?« 
Evan verzog seine Mundwinkel belustigt nach oben. »Mein Sonnenschein Amira schafft es immer mich zum Lachen zu bringen. Egal wie schlecht es mir geht.« 
»Awww.« Es war wirklich spürbar, wie sehr er seine Tochter liebte. »Und wie sieht’s du dich selbst?« 
»Normalerweise in einem Spiegel. Aber ich gehe mal davon aus, ich soll hier sagen, was ich von mir halte?« 
Ich nickte. 
»Ich halte mich für einen ziemlich guten Fang.« Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass seine Augen dabei funkelten. Auf jeden Fall blitzten seine Zähne auf, als er selbstzufrieden lächelte. Ein so perfektes Lächeln, als hätte er es einstudiert. 
»Welchen Ratschlag würdest du deinem jüngeren Ich geben?« 
»Nicht alles allein schaffen zu wollen und Hilfe von Außen anzunehmen.« Nun betrachtete er mich wieder ernster durch die Kamera hindurch. 
»Die Einsicht dazu kam spät?« 
»Noch später hätte sie nicht kommen dürfen.« 
Seine Stimme klang beinahe wie ein Knurren, also fuhr ich lieber mit der kommenden Frage fort. »Was war der beste Ratschlag, denn du je bekommen hast?« 
Evan senkte seinen Blick und begann einen Moment später wieder zu lächeln. »Meine Haare und meinen Bart wachsen zu lassen.« 
»Ernsthaft?« Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. 
Er fuhr mit seinen Fingern durch sein dunkelblondes Haar und blickte mich neckisch an. »Ich war immer schon beliebt, aber damit bin ich der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, egal wohin ich gehe.« 
»Und das gefällt dir?« Ich hatte das Bedürfnis der Diva ein Snickers zuzuwerfen, versuchte mich aber zusammenzureißen und nicht vollkommen albern zu werden. 
»Ich würde lügen, wenn ich nein sage.« Sein schiefes Lächeln machte mich beinahe wahnsinnig. Er wusste sich wirklich in Szene zu setzen. 
»Mit wem würdest du gern einen Tag dein Leben tauschen?« 
Evan lachte und schüttelte den Kopf. »Mit niemandem. Warum sollte ich?« 
»Um zu fühlen, was andere fühlen?« 
»Ich kann mich jederzeit verwandeln. Das reicht mir vollkommen. Ich brauche keinen Tag mit jemand anderem dafür zu tauschen.« 
»Was war das gemeinste, das du jemals getan hast?« 
Augenblicklich verschwand jegliche Emotion in seinem Gesicht. Er zögerte kurz, dann sprach er mit nüchterner Stimme. »Ich habe die Gefühle der einzigen Person, die mir geben kann, was ich mir am sehnlichsten wünsche, ignoriert und sogar verletzt. Ich habe bewusst mit ihren Emotionen gespielt und habe dann auch noch zusätzlich die Beherrschung verloren, weil sie sich mir widersetzt hatte.« Sein Blick war so starr, dass ich das Gefühl bekam, er würde durch mich hindurch sehen. 
»Du bereust es?« 
Er antwortete nicht, aber seine Mundwinkel zuckten nervös. 
Ich stellte ihm rasch die nächste Frage, bevor er sich entscheiden würde, das Interview abzubrechen. »Was würde dein jüngeres ich in deinem jetzigen Körper tun?« 
Evan hob eine Augenbraue an. »Sich beschweren, dass ich zu wenig esse.« 
»Ich dachte, Wandler essen grundsätzlich viel.« 
»Das stimmt. Aber ich schaffe es nicht immer und mein Gewicht schwankt sehr stark.« 
Tatsächlich fiel mir auf, dass er im Vergleich zu letztem Jahr ein sehr kantiges, eher hageres Gesicht hatte. Seinen Körper konnte ich durch die Kamera nicht beurteilen. »Hattest du eine glückliche Kindheit?« 
»Nein. Ich bezweifle, dass man das überhaupt Kindheit nennen darf.« 
Sein Ton war so hart, dass ich einfach gleich die folgende Frage stellte. »Würdest du lieber in die Zukunft oder Vergangenheit reisen?« 
»Ich bin davon überzeugt, dass ich mit dem Wissen von heute, in der Vergangenheit mehr bewirken könnte, als in der Zukunft.« 
»Glaubst du an ein Leben nach dem Tod?« 
»Ich habe jeglichen Glauben an irgendwas aufgegeben.« 
»Was bedeutet Liebe für dich?« 
Er wirkte mittlerweile Müde. Offenbar bohrte ich mit den Fragen tiefer, als er erwartet hatte. »Das kann ich nicht beantwortet. Meistens fühle ich nichts, obwohl ich weiß, dass ich Gefühle haben sollte. Außer bei meiner Tochter. Sie füllt mein Herz immer mit Licht und Wärme.« 
Ich fragte mich, wie leer man sich dabei fühlen musste, wenn einem so bewusst war, dass man nicht so funktionierte, wie andere es taten. »Wie war dein erster Kuss?« 
Evan lächelte weich. »Ungeschickt, beinahe schmerzhaft, aber voller Gier nach mehr.« 
»Mit einem Mädchen?« 
»Nein. Meine ersten Erfahrungen hab ich mit gleichaltrigen Jungs gemacht.« 
»Und wie war’s danach mit einem Mädchen?« 
»Meine ersten Erfahrungen mit dem weiblichen Geschlecht habe ich mit erheblich älteren Frauen gemacht und nie bereut.« Nun grinste er wieder äußerst selbstzufrieden. 
»Was macht für dich jemanden attraktiv?« 
»Wenn jemand eine Leidenschaft hat, in der er richtig gut ist. Noch besser, die Person kann mich überraschen. Das ist echt heiß, denn das schaffen nicht viele.« 
»Wie zeigst du jemandem, dass er dir gefällt?« 
»Ich schenke der Person Aufmerksamkeit über mein übliches Mindestmaß hinaus.« 
»Wenn du etwas an dir ändern könntest, was wäre es?« 
»Ich wäre gern wieder jung und würde mein Leben mehr genießen.« 
»Was sagst du zu einem Wettbewerb? Misst du dich gern mit anderen?« 
Evan lachte kurz auf. »Wenn mir jemand tatsächlich mal das Wasser reichen kann, finde ich das ziemlich reizvoll.« 
»Wann bildest du dir eine Meinung von anderen? Sofort oder lernst du die Person lieber kennen.« 
»Ich hatte schon gesagt, dass mich Menschen nur selten überraschen können. In der Regel kann ich jeden problemlos auf den ersten Blick einschätzen.« 
»Hast du ein Geheimnis, von dem niemand etwas weiß?« 
»Nicht niemand, aber nur sehr wenige.« 
»Das wäre?« 
»Möchtest du noch ein bisschen leben?« 
Ich war verwirrt. »Ja?!« 
»Dann bleibt es besser mein Geheimnis.« Er lächelte teuflisch. 
»Okay.« Ich räusperte mich. »Welche Angewohnheit würdest du gern ablegen?« 
»Meinen Kontrollzwang. Das erschwert es mir, Arbeit zu delegieren und einfach mal zu entspannen.« 
»Das kann ich mir gut vorstellen.« Ich war immer noch etwas verwirrt von seiner Drohung. »Kannst du etwas besser, als alle anderen?« 
Evan versuchte zwanghaft ein Lachen zu unterdrücken. »Einiges.« 
»Möchtest du darauf detaillierter eingehen?« 
»So viel Zeit haben wir nicht.« Er grinste breit. 
»Welches Geräusch hasst du?« 
»Das von schlecht gestimmten Instrumenten.« 
»Worauf bist du in anderen Kulturen neidisch?« 
»Ich kann mit dem Konzept Neid nicht viel anfangen. Wenn ich etwas gut finde, eigne ich es mir an.« 
»Nacht oder Tag?« 
»Ich denke, eher Tag. Ich liebe kühle Nächte, aber bin durch die Arbeit gewohnt früh in den Tag zu starten und deswegen Nachts lieber zu schlafen.« 
»Warm oder kalt?« 
»Orlando ist schon ziemlich gemäßigt für Florida, aber trotzdem bevorzuge ich jederzeit Wärme über Kälte.« 
»Hättest du lieber mehr Zeit oder mehr Geld?« Die Frage war natürlich schwachsinnig, Aber sowas fiel mir immer erst auf, wenn ich es bereits ausgesprochen hatte. 
Evan lachte schallend los. »Ich kann jetzt schon nicht so viel ausgeben, wie ich verdiene. Aber die Uhr tickt unerbittlich.« 
»Wenn du einen Wunsch frei hättest, welcher wäre das?« 
»Ich wünsche mir, dass wieder gut machen zu können, was ich zerstört habe.« 
»Das wünsche ich dir auch. Vielen Dank für deine ehrlichen Antworten.« 
»Sehr gern.« Er nickte zum Abschied und trennte die Verbindung.