Big Brother Is Watching You - 2030

Thriller - Kurzgeschichte

Evan - 50 Jahre
Lena - 35 Jahre


Lena:


Ich rannte, aber kam nur mühsam voran. Meine Füße sanken im nassen Sand ein. Ich rutschte immer wieder weg.

Bei jedem Schritt spritzte das Meerwasser klatschend an meine nackten Beine. Mein Herz pochte wild und mein Atem ging flach.

Gleich würde er mich einholen. Ich konnte seine Schritte hinter mir hören.

Ich musste ihm entkommen. Es kostete meine ganze Kraft, spontan die Richtung zu wechseln und den Strand hochzulaufen.

In diesem Moment packte mich eine starke Hand am Rock meines Kleides und der plötzliche Ruck riss mich zu Boden.

Mit aufgerissenen Augen drehte ich mich meinem Verfolger zu.

Evan fiel neben mir auf die Knie und streckte mir lachend Maria entgegen, die ebenfalls fröhlich jauchzte.

Ich nahm sie in die Arme und drückte sie fest an mich. Sanft küsste ich ihre dunklen Lockenkopf und setzte mich auf. Mein Kleid war klitschnass und wahrscheinlich auch zerrissen, aber das war den Spaß wert. 

Laura rannte uns mit ausgestreckten Armen entgegen. Mittlerweile waren beide zu groß dafür, dass Evan sie gleichzeitig beim Spielen tragen konnte.

Er sprang auf, lief ihr entgegen und warf Laura hoch in die Luft. Nachdem er sie wieder auffing, drehte Evan sich so lange mit ihr im Kreis, bis sie fröhlich lachte. Zum Schluss wiegte er Laura in seinen Armen und kam mit etwas zittrigen Beinen wieder zu uns, um sich neben mich in den nassen Sand zu setzen. »Das war ein schöner Abend.« Seine tiefe Stimme klang etwas heiser.

Ich lehnte mich an seine Schulter. »Ja, das war es.« Dabei ließ ich Maria los, die dann Laura von Evans Schoß zerrte, um mit ihr im Sand zu spielen.

Wir saßen ein paar Minuten reglos nebeneinander und sahen lächelnd den Kindern zu, wie sie sich an den Haaren zogen und sich mit Matsch bewarfen. Die beiden hatten Energie ohne Ende.

Evan drehte sich zu mir und ich legte mich dabei fast rücklings in den Sand, hätte er mich dabei nicht festgehalten. Vorsichtig legte er mich hin, um sich über mich zu beugen und zu küssen. Seine Hand fuhr unter mein Kleid, hoch bis fast zu meiner Brust. 

Ich hielt sie fest. 

Evan löste sich mit einem fragenden Blick von mir.

»Lass uns bitte einfach den Abend genießen.«

»Das versuche ich doch.«

»Mir ist gerade nicht danach.«

»Das ist es in letzter Zeit nie.«

»Es tut mir leid.« Ich küsste ihn auf die Wange und setzte mich wieder auf. »Lass uns bitte nur kuscheln.«

Evan seufzte und drückte mich fest an seine Brust.

Als die Kinder endlich müde waren, half er mir sie zu baden, umzuziehen und fuhr dann mit ihnen zu sich und Rosa nach Hause.

Mit einem Glas Wein setzte ich mich auf die Terrasse und betrachtete das, durch das Mondlicht, glitzernde Wasser. Ich liebte dieses Haus direkt am Strand. Nie wieder müsste ich in den Urlaub fahren, denn ich hatte ihn direkt vor meiner Tür.

Auch, wenn ich erst dagegen war und es auch nicht wahrhaben wollte, dass er mir das Heim schenkte, war ich nun sehr glücklich mit der Situation.

Die Mädchen waren im Wechsel bei mir oder bei ihm und wir versuchten so viel Zeit, wie es seine Arbeit zuließ, gemeinsam mit unseren Kindern zu verbringen.

Evan war ein hervorragender Vater und ich liebte es ihm dabei zuzusehen, wie er sich um die Kleinen kümmerte. Doch seit einiger Zeit mochte ich es nicht mehr, wenn er mich küsste oder mit mir intim werden wollte. Das Kribbeln war verschwunden und es fühlte sich falsch an. Ich liebte ihn noch, das wusste ich. Aber wohl nicht mehr auf dieselbe Weise wie früher.

Lag es am Alltag, oder daran, dass ich ihn mit Rosa teilen musste? Ich wusste es nicht, aber ich war froh, dass ich vom ersten Tag an entschieden hatte, in meine eigenen vier Wände zu ziehen. Er war generell viel zu einnehmend und beeinflusste mich zu stark, wenn ich nicht wenigstens ein wenig Abstand von ihm gewinnen konnte. Evan hatte klare Vorstellungen vom Leben und wie alles für ihn ablaufen musste, aber das waren nicht meine.

Fast hätte ich den Wein verschüttet, als mein Handy vibrierte und ich sah nach, wer mich anrief. Eine wohlige Wärme durchflutete meinen Körper, als ich Pauls Namen auf dem Display entdeckte. »Hallo?«

»Hallo Lena, entschuldige, wenn ich dich störe.«

»Du störst mich nicht.«

»Das ist gut.« Er schwieg eine Weile. Ich glaubte schon, die Leitung wäre tot. »Ich wollte dich fragen, ob du mit mir morgen ins Kino gehen würdest?« Er atmete tief durch. »Jetzt fällt mir auf, wie dumm diese Frage von mir ist. Ich meine, wieso frag ich dich so was? Mir sollte klar sein, dass du nein sagst. Du kannst mit jedem ins Kino. Wieso solltest du das mit mir tun?…«

»Das würde ich liebend gern.« Ich unterbrach ihn lieber, bevor er es komplett versaute.

»Was?«

»Hol mich morgen um sieben ab. Ich freu mich drauf.« Ich legte auf, bevor er einen Rückzieher machen konnte und freute mich dabei, wie ein kleines Schulmädchen.

Paul war ein Biologe und arbeitete ab und zu mit Thomas zusammen. So hatte ich ihn kennengelernt und mich sofort mit ihm verstanden.

Er war ein paar Jahre jünger als ich, aber der Altersunterschied war nicht so gravierend, wie zwischen mir und Evan oder Thomas. Ich war mir sicher, dass es genau deswegen besser zwischen uns funktionierte. Paul war so ziemlich das Gegenteil von den beiden.

Er war eher schüchtern und unscheinbar. Paul hatte keine starken Muskeln und war nicht reich, außergewöhnlich talentiert oder sonst was. Er war so schön normal. Ich fühlte mich nicht, als müsste ich mich beweisen oder etwas sein, was ich nicht war. Ich musste in seiner Gegenwart keine tolle Mutter sein, keine unersättliche Liebhaberin oder mich in ein wildes Tier verwandeln, weil ein Hund für die Tabares Brüder zu zahm war. Es störte mich, immer nur belächelt zu werden. Paul bewunderte mich, egal was ich tat. Ich fühlte mich einfach wohl mit ihm.

Vielleicht sollte ich Evan klarmachen, dass ich keine intime Beziehung mehr mit ihm führen wollte. Vielleicht sollte ich einfach auch mir selbst endlich eingestehen, dass ich in Paul verliebt war.


Der Kinoabend mit Paul war großartig. Schon lange hatte ich nicht mehr so eine lockere Unterhaltung mit einem Mann geführt und so viel während eines Filmes gelacht.

Den Rest des Wochenendes hatte ich mit Rebecca am Strand verbracht. Sie war beruflich stark eingespannt und hatte viele Aufträge durch die High Society Floridas und wenig Lust an ihren freien Wochenenden, wo sie nicht gerade ihre neueste Kollektion präsentierte, mehr zu tun, als zuhause zu chillen.

Auch nach so vielen Jahren schafften wir es immer noch, uns gegenseitig Energie zu spenden und auch wortlos füreinander da zu sein. Ich war mir sicher, diese Freundschaft würde bis an unser Lebensende halten.


Sonntagabend brachte Evan die Kinder zu mir zurück. Rebecca nahm die Mädchen in Empfang und gab mir so die Möglichkeit, mit ihm zu sprechen.

Er legte seine Hand sanft auf meine Taille, um mich an sich ran zu ziehen und zu küssen.

Ich entzog mich ihm. »Bitte nicht.«

Er ließ mich los, richtete seinen Hut und musterte mich gründlich.
»Geht es dir nicht gut?«

»Doch, mir geht es sogar sehr gut.«

»Warum darf ich dich dann nicht küssen?«

Ich senkte meinen Kopf und seufzte lauter, als ich es eigentlich wollte. »Es tut mir leid, ich möchte das nicht mehr. Können wir nicht einfach nur Freunde sein?«

Evan verschränkte die Arme vor seiner Brust und schnaubte. »Ich habe dich nie genötigt, mit mir intim zu werden.«

»Ich weiß. Damals, als wir uns kennenlernten, liebte ich dich wie verrückt, aber jetzt denke ich, dass wir uns nach all den Jahren auseinandergelebt haben. Ich fühle mich unwohl dabei, mit dir körperlich zu werden.« Ich konnte riechen, wie seine Lust sich in Wut verwandelte und machte einen Schritt zurück. Verunsichert sah ich ihn an.

Evans Blick war hart und er wirkte steif, aber reagierte nicht weiter.

»Es tut mir wirklich leid. Ich liebe dich trotzdem als Menschen, als Vater meiner Kinder, als einen guten Freund und ich hoffe, wir vertragen uns weiterhin. Den Kindern zuliebe.«

»Den Kindern zuliebe.« Er machte einen Schritt auf mich zu und streckte seinen Arm nach mir aus. 

Ich schloss die Augen und hielt den Atem an. Was wollte er jetzt von mir? Und warum hatte ich wieder Angst vor ihm?

Er berührte mich kaum, während er eine Strähne hinter mein Ohr strich. 

Früher hatte mich diese sanfte Geste stark erregt, aber jetzt fühlte ich nichts außer Unbehagen.

»Es ist wirklich schade. Ich werde es vermissen.«

»Danke, dass du Verständnis dafür hast.«

»Was bleibt mir sonst übrig? Soll ich dich einsperren und zu etwas nötigen, was du nicht willst?« Er lachte gequält.

Ich schüttelte den Kopf. 

Evan strich sanft über meine Wange. »Wir sehen uns Freitag.«

»Ja, bis Freitag.« Ich entzog mich seiner Berührung und drehte mich weg, um ins Haus zu gehen. Ich war mir nicht sicher, ob dieses Thema mit Evan wirklich vom Tisch war.



Evan - eine Woche später:


Das Wochenende wollten wir zusammen mit den Kindern verbringen. Rebecca war auf einer Messe und wir hätten die Chance gehabt, alles zu tun, wozu wir Lust gehabt hätten und das an jedem Ort des Hauses oder des Grundstücks. Aber Lena hatte mich in einer Textnachricht gefragt, ob es für mich in Ordnung wäre, wenn sie mir die Kinder bringen würde. Sie hätte andere Pläne für das Wochenende.

Es kostete mich einiges an Beherrschung, mein Handy nicht gegen die Wand zu schleudern.

Ich hatte gehofft, sie wieder für mich gewinnen zu können. Wieder mit ihr intim zu werden und den Druck abzulassen, der sich die letzte Zeit aufgestaut hatte.

Natürlich hatte ich Sex mit Rosa. Zum Glück. Ohne wäre ich längst Amok gelaufen. Aber ich begehrte beide Mütter meiner Kinder. Wir waren eine Familie und ich wollte dabei nicht auf Lena verzichten.

Warum hatte sie auf Intimität keine Lust mehr? Was hielt sie davon ab?

Früher war sie unersättlich. An manchen Tagen haben wir nichts anderes getan, als uns zu lieben und es war viele Jahre her, dass ich mich so befriedigt und entspannt gefühlt hatte, wie an diesen Tagen. Ich vermisste es.

Ich wünschte Rosa hätte mir gereicht, aber sie tat es nicht mehr, seit ich Lena kannte. Ich wollte und brauchte beide.


Die Kinder waren schon im Bett, aber ich kam einfach nicht zur Ruhe. Ich musste wissen, was sie Wichtigeres am Wochenende vorhatte, als die Zeit mit mir zu verbringen.

Ich durchquerte den Garten bis ganz nach hinten zum Gartenhaus und öffnete die sorgsam abgeschlossene Tür. Vorsichtig zog ich sie hinter mir zu und verriegelte sie wieder. Das hier war mein Rückzugsort und niemand sonst hatte ohne meine Genehmigung freien Zutritt, bis auf meinen Bruder.

Das war aber nicht die einzige Sicherheitsmaßnahme. Auf den ersten Blick wirkte es, wie ein ganz normaler Hobbyraum mit meinen Musikinstrumenten. Eine Treppe führte in die obere Etage, doch das war nicht alles.

Ich drückte einen hinter einem Bild versteckten Knopf und die Treppe begann sich zu bewegen. Sie verschwand nach und nach im Parkett. Wenn man genauer hinsah, bewegte sie sich samt eines Teiles des Bodens wie ein Fahrstuhl nach unten. Mit einem Klick rastete sie endlich ein. Ein Kühler Luftzug drang aus dem Keller zu mir. Ich seufzte genüsslich und stieg dann die Treppe hinab. Licht brauchte ich keines, denn die zahllosen Monitore strahlten mehr als genug davon ab. Der Anblick dieser verschaffte mir ein Gefühl von Kontrolle.

Mit einem Knopfdruck fuhr die Treppe wieder hoch.

Gemütlich setzte ich mich in den Bürostuhl vor den Pult mit den Monitoren und checkte mit einem geübten Blick, welche Kameras gerade Bewegungen aufzeichneten.

Es schien ruhig im Haus zu sein. Ich fand Lena im Wohnzimmer beim Fernsehschauen.

Kurz ärgerte ich mich, aber dass sie Zeit mit sich allein verbringen wollte, war mir lieber, als wenn sie es mit jemand anderem verbrachte, anstelle von mir.

Ich suchte auf dem Rechner nach etwas älteren Aufzeichnungen. Oft setzte ich mich hier rein, um ihr zuzusehen, wie sie ein Buch las, etwas kochte, am Laptop arbeitete, oder auch wenn Lena aufs Klo ging, sich wusch oder sich selbst befriedigte. Besonders letzteres sah ich mir oft wieder und wieder an.

Oh ja, das war besonders geil.

Ich öffnete meine Hose, während ich mir die Aufnahme ansah, wo sie sich in der Dusche die Brause zwischen die Beine hielt.

Es blieb nicht die einzige private Aufnahme von ihr, die ich mir reinzog, bis ich endlich zum Höhepunkt kam und mich zufrieden im Sessel zurücklehnte. Sie war so schön und diese besonderen Momente mit ihr gehörten nur mir. Lena hatte nicht die leiseste Ahnung davon, dass ich sie jederzeit beobachten konnte.

Gedankenverloren klickte ich die Aufnahme weg und bemerkte, dass eines der Kameras Bewegung meldete. Ich war doch etwas neugierig, was sie gerade tat.

Schnell wurde ich klarer im Kopf, als mir lieb war.

Lena war nicht mehr alleine. Dieser Typ, mit dem mein Bruder arbeitete, besuchte sie.

Wutentbrannt sprang ich auf. Sie verbrachte lieber Zeit mit diesem Lauch, anstelle von mir?

Meine Hose rutschte runter. Schnaubend bückte ich mich, um sie wieder hochzuziehen. Ich machte die Hose zu und setzte mich wieder in den Stuhl. Aus einer Schublade holte ich ein Glas und einen Whisky hervor. Ich brauchte den Drink, um meine Nerven zu beruhigen.

Zittern hob ich das Glas an meinen Lippen, stellte es aber augenblicklich wieder hin, als die Flüssigkeit meine Lippen berührte. Eis, ich brauchte Eis.

Ich stand noch mal auf und ging mit meinem Glas zu der großen Tiefkühltruhe, öffnete sie und holte aus einem kleinen Fach an der Seite eine Schachtel mit formvollendeten Schädeln aus Eis heraus. Eines davon ließ ich in mein Glas gleiten und der Whisky spitzte hoch.

Ich klappte die Truhe zu und bewegte mich etwas entspannter zurück zu meinem Platz.

Den ganzen Abend bis spät in die Nacht beobachtete ich sie, wie sie zusammen redeten, kochten, Film schauten…

 Krachend zersprang der Monitor. Klirrend fielen die Scherben zu Boden und dumpf schlug das Whiskyglas auf, zersprang aber nicht.

Fluchend stand ich auf und warf den Stuhl um, riss die Tastatur vom Tisch. Ich warf alles durch die Gegend, was nicht niet- und nagelfest war.

Wie konnte dieser Abschaum es wagen MEINE Lena zu ficken. Ich war außer mir vor Wut.

Als meine Hand den Hals des 45 Jahre alten Dalmores umklammerte, um sie ebenfalls gegen die Wand zu schleudern, stockte ich und öffnete sie lieber, um sie mit einem Zug zu leeren.

Die Schärfe des Alkohols trieb mir die Tränen in die Augen, aber ich setzte sie nicht ab, bis sie vollkommen leer war. 

Nun feuerte ich die Flasche doch noch gegen die Wand und setzte mich auf den mit Scherben übersäten Boden.

Es dauerte, bis das Brennen in meinem Rachen nachließ und anstelle wieder Kraft zu bekommen, fühlte ich, wie der Alkohol meine Gliedmaßen lähmte. Beim Versuch aufzustehen, schnitt ich mich mehrfach.

Wankend ging ich zu der Stelle, wo der Aufgang sich befinden musste, und drückte den Knopf. 

Egal, was ich berührte, überall hinterließ ich eine Blutspur. Den Schmerz der Schnitte konnte ich nicht fühlen.

Meine Beine zitterten, während ich drauf wartete, dass die Treppe herunter kam.

Ich stolperte mehrfach, als ich hochgehen wollte und legte die letzten Stufen auf allen Vieren zurück.

Es dauerte, bis ich den Knopf fand, um sie wieder hochfahren zu lassen. Dann schwankte ich zurück zum Haupthaus. 

Unterwegs kam der teure Whisky wieder heraus. Ich ärgerte mich, die Flasche war noch beinahe voll gewesen und diese Jahrgangsmischung war seit Jahren ausverkauft. Ich hatte gerade über 25000 Dollar in den Garten gekotzt.

Ich wischte meinen Mund an meinem Ärmel ab und führte meinen Weg fort, hoch zum Schlafzimmer. Die breite Flügeltreppe hochzukommen, war etwas leichter, als davor. Rücksichtslos schlug ich die Schlafzimmertür auf und wieder hinter mir zu, so dass Rosa vor Schreck aufschrie. 

Mit zwei großen Schritten stand ich bei ihr am Bett. Grob packte ich ihr hübsches Gesicht und küsste sie.

Angeekelt wollte sie sich zurückziehen. Aber meine Hand hielt sie eisern fest.

»Du stinkst nach Alkohol.« zischte Rosa. Ihr harter Blick wurde weicher, als sie entdeckte, dass ich blutete.

»Ich weiß, aber ich brauche dich jetzt, sonst bringe ich noch jemanden um.«

Ängstlich keuchte sie auf. Sie kannte mich zu gut und stellte keine Fragen, sondern gab sich mir wortlos hin.



Paul - zwei Monate später:


Ich hörte und sah nichts, aber dieses Gefühl beobachtet zu werden, wollte nicht verschwinden. Dieses unangenehme Kribbeln im Nacken und die Gänsehaut, die es auslöste, nervten, denn es gab keinen offensichtlichen Auslöser dafür.

Nun war ich schon ein paar Monate mit Lena zusammen. Ohne Frage, die schönste Zeit meines Lebens. Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass sie mich liebte, obwohl sie schon mal was mit Thomas hatte und Jahre mit Evan zusammen gewesen war.

Wer war ich schon, verglichen mit den beiden? Ein Niemand, ein schwächlicher Niemand.

Thomas war zwar über die Jahre zu einem guten Freund geworden, aber seine Muskelkraft war furchteinflössend. Mit keinem Training der Welt hätte ich auch nur ansatzweise sein Aussehen erreichen können, geschweige denn, seine Körperkraft. Mühelos konnte er einen ausgewachsenen Alligator alleine auf den Truck hieven, während wir das ohne ihn zu viert kaum schafften. Und Evan war der reichste Typ, den ich kannte, ganz abgesehen davon, dass er als Model für eine Luxus-Herrenmarke durchgegangen wäre.

Ich verdiente zwar nicht schlecht, aber niemals hätte ich mir ein Haus direkt am Strand leisten können, welches Evan wohl aus dem Kleingeld seiner Hosentasche bezahlt hatte.

Und trotzdem, Lena wollte mich.

Schon das erste Mal, als ich sie gesehen hatte, war ich sofort verliebt. Aber es war nicht nur ihr Aussehen. Sie brachte mich immer zum Lachen und gab mir das Gefühl, ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft zu sein.

Ich joggte morgens gern durch das Naturschutzgebiet. So verband ich die Arbeit mit Sport. 

Während meine Augen die Gegend nach Auffälligkeiten scannten, konnte ich meine Gedanken schweifen lassen und ja, je mehr ich darüber nachdachte, umso sicherer war ich mir. Ich war nicht nur verliebt, ich liebte Lena mehr als mein Leben und endlich durfte ich dieses Gefühl zulassen, das ich so lange unterdrückt hatte.

Ich blieb stehen und atmete tief durch.

Es hatte lang genug gedauert, die neue Situation zu realisieren und zu akzeptieren. Meine Angst, wie Thomas oder Evan das auffassen könnten, war groß. Aber Thomas benahm sich wie immer, außer, dass er einige Fragen zu meiner Beziehung mit Lena gestellt hatte. Mitunter auch sehr intime, aber ich wusste, dass er einfach seine Gedanken ungefiltert aussprach und sich wahrscheinlich um sie sorgte oder sogar noch Interesse an ihr hatte. 

Seit es zwischen ihm und Rebecca nicht mehr so gut lief, hatte er ebenfalls kaum noch Kontakt zu Lena.

Evan dagegen schenkte mir, genau wie früher, kaum Beachtung. Er war aber höflich, wenn wir ein paar Worte wechselten. Dem Kontakt mit ihm konnte ich nicht komplett entgehen, immerhin waren es auch seine Kinder, die nun auch Umgang mit mir pflegten.

Plötzlich erstarrte ich vor Schreck. Schon wieder dieses Rascheln, wie bei meiner letzten Runde vor einigen Tagen. Es war sogar die haargenau selbe Stelle. Was war das bloß? Hatte sich hier ein Tier eingenistet? Ich sollte mit meiner Wärmebildkamera vorbei kommen und die Bäume prüfen.

Etwas steif setzte ich meinen Weg fort. Krampfhaft versuchte ich so zu tun, als ob das nichts Ungewöhnliches wäre. Warum löste es so eine Panik in mir aus? Das war jahrelang kein Thema gewesen. Ich kannte die Tierwelt Floridas sehr genau und gerade so Stadtnah bei Orlando bestand keinerlei Gefahr für mich.

Nun knackte es ganz in der Nähe und ich zuckte zusammen. Ich konnte nicht anders und beschleunigte meine Schritte.

Hatte ich gerade gelbe Augen durchs Gebüsch blitzen sehen?

Scheiße. Ich war bestimmt noch eine halbe Meile von meinem Wagen entfernt.

Nun sprintete ich so schnell ich konnte. So würde ich in wenigen Minuten zu meinem Auto gelangen und einfach wegfahren.

Hinter mir hörte ich Getrappel, wie von Hundepfoten.

Ich war zwar kein großer Sportler, aber schnell laufen konnte ich und das tat ich auch.

Als der Weg sich auf die Lichtung zu bewegte, war ich bereits am Keuchen. Mit dem Gefühl verfolgt zu werden, war Sprinten etwas ganz anderes, als das gemütliche Joggen.

Ich hörte nichts mehr, also sah ich mich um. Hatte ich mir das vielleicht doch nur eingebildet? Wurde ich langsam verrückt?

Ich hätte schwören können, dass ich von einem Wolf verfolgt wurde. Aber es gab hier in der Gegend keine Wölfe. Ich kam mir so bescheuert vor und bremste ab. 

In diesem Augenblick entdeckte ich nun große Pfotenabdrücke vor mir im weichen Boden. Pfotenabdrücke von einer Katze, größer als meine Faust. Und sie wirkten ganz frisch, als wäre sie eben vorbei gegangen.

War das nun ein schlechter Scherz? Erst dachte ich, ich hätte die Augen eines Wolfes gesehen und nun fand ich Spuren einer Großkatze?Wurde ich jetzt endgültig paranoid? 

Ja, es gab eine Unterart des Pumas in Florida, den man Florida-Panther nannte. Aber sie waren doch etwas kleiner als die bekannteren Berglöwen und außerdem sehr selten. In der Region von Orlando kamen sie eigentlich nie vor.

Während ich meine Augen rieb um auszuschließen, dass ich mich verguckt hatte, hörte ich ein tiefes Grollen. Diesmal aus der entgegengesetzten Richtung zum Rascheln und Knacken, dass ich davor wahrgenommen hatte.

War das die Katze, die diese Spuren hinterlassen hatte?

Ich wagte es kaum zu atmen und hielt die Hände vor mein Gesicht. Auch wenn es unsinnig war, fiel es mir so leichter, die genaue Richtung einzuordnen, aus der dieses Knurren kam.

Zögerlich drehte ich mich in die Richtung. Als ich meine Hände runter nahm, blickte ich direkt in die Augen eines Jaguars.

Ich schüttelte den Kopf. Das war doch verrückt. Es gab in Florida keine Jaguare. Ich sah wieder hin und er schritt gemütlich auf mich zu. Langsam zeigte mir die Großkatze ihr beeindruckendes Gebiss.

Dann vernahm ich, dass sich auch hinter mir Schritte näherten. Ein weiteres Knurren erklang, aber nicht von einer Großkatze.

Ich riskierte einen kurzen Blick über die Schulter und sah, wie ein dunkler Schatten vom Waldrand näher kam und die schwarze Silhouette eines Wolfes bildete.

Das konnte nicht wahr sein. Das war vollkommen unmöglich. Es gab hier keine Timberwölfe. Es gab hier keine Jaguare. Das musste alles in meinem Kopf geschehen. Das konnte nur eine verrückte Halluzination sein.

Leider wirkte es nicht, wie eine Halluzination, als der Jaguar losrannte.

Bis eben war ich noch steif vor Angst. Endlich konnte ich mich lösen und rannte los, so schnell ich konnte. Mein Herz klopfte so stark, dass ich kaum in der Lage war zu atmen. Meine Seite schmerzte und ich rutschte immer wieder auf dem vom Morgentau feuchten Boden aus.

Nebelschwaden nahmen mir die Sicht auf den Parkplatz. Ich konnte nicht einschätzen, wie weit es noch zu meinem Wagen sein mochte. Doch mir blieb nichts anderes übrig, als einfach zu rennen und zu hoffen, dass mich die Raubtiere nicht einholen würden.

Ich hörte, wie sie sich näherten.

Aufgeregt tastete ich nach dem Autoschlüssel und drückte in der Tasche der Jogginghose auf den Knopf.

Erleichtert atmete ich auf, als ich die Lichthupe entdeckte. Gleich war ich am Auto. 

Ein Schlag traf meine Ferse. Ich stolperte und wäre beinahe hingefallen, aber ich konnte mein Gleichgewicht durch einen Sprung ausgleichen.

Vor mir sah ich die gelben Augen des Wolfes. Er würde doch nicht vor mir am Wagen ankommen?

Ich stöhnte vor Schmerzen. Das Seitenstechen würde mich noch schneller umbringen als die beiden Tiere. 

Endlich konnte ich nach der Türklinke greifen, öffnete sie ruckartig und sprang regelrecht ins Auto, während sich Krallen in meiner Hose vergruben.

Der Jaguar hatte mich erwischt und zog kraftvoll an meinem Unterschenkel.

Ich schrie vor Schmerzen und schlug die Tür zu, was natürlich nicht funktioniere, da mein Bein noch außerhalb des Fahrzeugs war. Eine Taubheit breitete sich in meinem Fuß aus, so stark wie ich die Tür auf meine Wade drückte. Verzweifelt versuchte ich mein Bein trotzdem nach innen zu ziehen, schaffte es aber nicht.

Ich fühlte einen Druck wie durch einen Presslufthammer an meinem Schuh. Offenbar hatte er reingebissen. Für einen Moment fühlte ich, wie die Krallen sich lösten.

Geistesgegenwärtig öffnete ich wieder die Tür, noch bevor er weiter oben zukrallen konnte und schlug sie aus voller Kraft wieder zu. Dieser Moment gab mir Zeit genug, meinen Fuß aus dem Schuh zu drehen und in den Wagen zu ziehen. Die Tür krachte ins Schloss und der Jaguar brüllte vor Wut und kratzte daran.

Zitternd versuchte ich den Schlüssel ins Zündschloss zu stecken, aber sie fiel mir aus der Hand, als der Wolf krachend gegen die Windschutzscheibe sprang. Mehrere Risse hatten sich darin gebildet. Ein schriller Schrei entwich meiner Kehle. Keuchend fasste ich mit links an meine Brust und tastete mit rechts nach dem Schlüssel. 

Erschrocken fasste ich an meinen tauben Fuß und stellte fest, dass mir mehrere Zehen fehlten. Ich schluckte und musste mich zusammenreißen, nicht an Ort und Stelle in Ohnmacht zu fallen.

Doch die Chance mich in meine Verletzung zu steigern, bekam ich nicht. Perplex starrte ich auf den Punkt, wo eben noch der Jaguar seine Krallen in meine Wagentür geschlagen hatte. 

Das in der Morgensonne golden glänzende Fell mit den großen, schwarzen Flecken verwandelte sich in Sekunden in vor Schweiß glänzende Haut. Keinen Herzschlag später starrte ich nicht mehr in smaragdgrüne Katzenaugen, sondern in die dunklen, vor Zorn funkelnden, braunen Augen eines Mannes. In die Augen von Evan Tabares.

Ich traute meinen Sinnen schon die ganze Zeit nicht mehr, aber das war eindeutig zu viel. Mein Herz schien mir gleich aus der Brust springen zu wollen. Fühlte es sich so an, wenn man wahnsinnig wurde?

Evan griff nach der Türklinke der Fahrertür, aber ich drückte rechtzeitig auf den Riegel, so dass er sie nicht öffnen konnte. 

Wutentbrannt rüttelte er daran und schlug mit der Faust gegen die Scheibe. »Komm, mach auf, wir wollten nur mit dir reden.«

Ja klar und ich bin der heilige Nikolaus.

Auf jeden Fall wäre es nicht absurder gewesen, als ein Jaguar, der sich in einen Menschen verwandelt.

Endlich hatte ich den Schlüssel wieder in der Hand und steckte ihn diesmal erfolgreich ins Schloss. Der Motor startete und ich drückte das Gaspedal so weit durch, dass ich befürchtete, es würde gleich durch den Boden krachen.

Das Auto holperte über die Bordsteinkante und ich wendete so schnell ich konnte auf die Straße und fuhr mit allem, was der Motor an Geschwindigkeit hergab, davon. 

Der nackte Evan sprang im letzten Augenblick beiseite und der Wolf wurde von der Motorhaube geschleudert. Bald waren beide nicht mal mehr im Rückspiegel zu sehen.



Lena - etwas über eine Woche später:


»Danke, dass du dir für mich Zeit genommen hast.«

»Das ist doch selbstverständlich. Für die Mutter meiner Kinder würde ich alles tun.«

Ich schmiegte mich an Evan und er drückte mich fest an seine Brust. »Ich hätte nie gedacht, dass er so zu mir sein würde.«

»Was hat er denn getan? Soll ich ihn mir vorknöpfen?«

Ich sah hoch in Evans Augen. »Dann wird er sich erst recht nie wieder bei mir melden.« Ich legte mein Gesicht wieder auf seine Brust. »Seit über einer Woche ghostet er mich. Dabei war unser letztes Treffen so schön.«

»Er hat dich nicht verdient. Du bist viel zu gut für so einen Typen.« Sanft streichelte er mein Haar.

Nun kamen mir die Tränen. Ich war offenbar wirklich so blöd, und ließ mich von einem dahergekommenen Jungen wie Dreck behandeln. Ich war gut genug zum Spaß haben und dann ist er wahrscheinlich weiter zur Nächsten. Im Leben hätte ich Paul so was nicht zugetraut.

Auf mein Bauchgefühl konnte ich mich nicht verlassen. Schon vor der Beziehung mit Evan wurde ich nur ausgenutzt und verarscht. Evan war der Einzige, der bereit war sich für mich zu ändern. Er gab mir alles, was ich brauchte und das war nicht genug für mich. Ich verliebte mich lieber in jemand anderen. Was hatte ich nun davon? Ich hatte den Herzschmerz wegen meiner Dummheit mehr als verdient.

Evan machte einen Schritt zurück, beugte sich zu mir herab, hob zärtlich mein Kinn und küsste mir die Tränen von den Wangen.

Diesmal verspürte ich wieder das Kribbeln von früher. Seine Lippen näherten sich meinen und er küsste mich gefühlvoll, was ich zu gern erwiderte.

Bei einer kurzen Atempause hauchte ich »Ich liebe dich.«

»Ich weiß, du musstest es nur wieder erkennen.« Er lächelte mich mit seinem unwiderstehlichem, schiefen Lächeln an. Dann küsste er mich erneut, fasste unter mein Gesäß und hob mich hoch. Ich umklammerte ihn mit meinen Beinen, während wir uns weiter küssten. Er schritt die Terrassentreppe mit mir hoch, während er seinen Hut vom Kopf nahm und weg schmiss, dann öffnete er die Tür und trug mich ins Haus.


Damit ich mich nicht so einsam fühlte, lud mich Evan am Wochenende zum BBQ ein. 

Rebecca war offensichtlich so gestresst von der Arbeit, dass sie sich nicht mal die Zeit nehmen konnte, mir zu schreiben.

Das war nicht zwingend etwas Neues. Sie hatte öfter depressive Phasen, wo sie sich nicht meldete. Normalerweise war das kein Problem, da wir zusammen wohnten und wir wussten, wir waren jederzeit füreinander da, wenn wir es brauchten. Konnten aber auch wunderbar schweigend nebeneinanderher leben.

Aber diesmal war sie auf Geschäftsreise und ich vermisste sie. Ich hätte so gern mit ihr über Paul und sein komisches Verhalten gesprochen, aber sie wusste noch nicht mal, dass zwischen mir und ihm offensichtlich Schluss war. Naja, und sie wusste auch nicht, dass ich wieder mit Evan schlief. Das hätte sie bestimmt sauer gemacht, aber ich brauchte diese Nähe.

Evans Stimme riss mich aus meinen Gedanken. »Ich hatte dir angeboten, hier einzuziehen. Die Villa ist groß und wir haben mehr als genug Platz. Jetzt fühlst du dich einsam in deinem Haus.«

»Rebecca wird wieder kommen. Das ist jetzt nur wegen der Arbeit.«

»Ist das so? Die Messe ist nach meinem Wissenstand schon vorbei.«

Ich seufzte. Warum musste er mich bloß daran erinnern? »Manchmal braucht sie etwas Zeit für sich.«

Evan widmete sich wieder dem Grill und wendete das Fleisch. »Du kannst hierbleiben, bis sie zurück kommt.«

»Danke, aber ich glaube, ich sollte das nicht tun.«

 Evan lachte gehässig. »Du glaubtest auch, dass Paul ein guter Fang wäre.«

Ich mochte ja, dass Evan ehrlich aussprach, was er dachte, aber manchmal tat es höllisch weh. Ich stand auf und wollte ins Haus gehen, denn ich war einfach noch nicht bereit mir solche Kommentare anzuhören.

Evan bemerkte, dass er zu weit gegangen war. Er griff nach meiner Hand. »Entschuldige meine Aussage. Ich wollte die Wunde nicht wieder aufreißen. Es war sehr schwer für mich, dass mit euch anzusehen.« Er kam einen Schritt näher. »Bitte bleib hier und lass uns gemeinsam essen.«

Thomas tauchte wie aus dem Nichts auf, mit frisch marinierten Rippchen auf einer Platte. »Hey Kleines. Schön, dass du da bist.«

Ich hatte ihn schon ewig nicht gesehen, also rannte ich zu ihm und umarmte ihn fest. 

Er hob die Platte weit hoch, so dass ich sie ihm nicht aus den Händen schlagen konnte. »Ganz ruhig meine Kleine, sonst fällt mir noch das Essen runter. Obwohl, so schlimm wäre es nicht, ist kaum was dran an den Dingern.«

»Macht nichts, ich nage die gern ab.«

»Ich weiß, dass Hunde Knochen mögen.« Er zwinkerte mich an.

»Ach, und Wölfe nicht?«

Thomas grinste breit und ging weiter zum Grill.

Es war wirklich erfrischend, dass er auch da war. Mit ihm konnte ich immer so herrlich herum albern.

Rosa gesellte sich mit diversen Salaten dazu und ihre Eltern brachten bald die Kinder zurück vom Spielplatz.

Sogar Amira setzte sich zu uns, die gemeinsame Tochter von Rosa und Evan, obwohl das mit ihren 15 Jahren nicht mehr selbstverständlich war.


Viele Stunden später verabschiedeten sich Amira und Rosas Eltern. 

Ich hatte keine Ambitionen nach Hause zu gehen. Irgendwie war ich auch viel zu vollgefressen. Vielleicht hatte Evan recht und ich sollte hierbleiben, bis Rebecca wieder zurück kam.

Rosa machte die Kinder bettfertig und bald saß ich alleine am Tisch und sah dabei zu, wie die beiden Männer sorgsam die Reste verpackten und den Smoker und Grill reinigten.

»Kann ich euch irgendwie helfen?«

Thomas drehte sich zu mir. »Nicht nötig Kleines, wir schaffen das schon.«

Ich konnte aber nicht tatenlos zuschauen, also sammelte ich die Teller auf den Tischen ein und schabte die Reste in eine Schüssel. 

Die Knochen wirkten so merkwürdig und ich stellte fest, dass viele davon gespalten wurden, um an das Mark zu kommen. Das war bei den letzten BBQs nicht der Fall gewesen.

Außer den Knochen gab es auch kaum weitere Reste vom Fleisch. Als wäre es etwas ganz Außergewöhnliches gewesen, was man nicht alle Tage bekommt.

»Ich hätte schwören können, dass wir Schwein gegessen hatten. Aber offenbar war es was Besonderes.«

Evan lachte. »Ja Lena, das war definitiv etwas ganz Besonders.«

»Und wieso bin ich die Einzige, die nichts davon wusste? Ich meine klar, das Fleisch war vorzüglich. Es schmolz auf meiner Zunge, wie damals das Kobe-Rind, was du mir mal gekauft hattest. Aber ich dachte, dass wäre sowas ähnliches, nur eben vom Schwein.«

»Ich wusste, dass es ihr schmecken wird, Evan,« warf Thomas ein. Dann wandte er sich mir zu. »Wenn wir dir gleich gesagt hätten, was es ist, hättest du es vielleicht nie probiert.«

»Das macht mich jetzt natürlich überhaupt nicht neugierig.« Ich stemmte meine Fäuste in die Hüfte. »Außerdem hatte ich hier sogar schon Leguan gegessen, also bitte. Was war es? Ein Einhorn?«

Beide lachten schallend los. Evan wischte sich die Hände an der Schürze ab und zog sie dann aus. Auch Thomas zog sich sein Shirt aus um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen und seine Hände zu säubern. Dann kamen beide auf mich zu.

Irgendwie war die Situation unaussprechlich heiß und Erinnerungen sprangen mir durch den Kopf, wie es damals mit beiden war. Ich keuchte auf. »Ich dachte, ihr sagt mir einfach, was es für ein Tier war. Ich wusste nicht, dass ihr einen Softporno aus diesem Rätsel drehen wollt.«

Beide Männer grinsten noch breiter und kamen weiter auf mich zu.

»Ach Kleines, mach dir nichts draus. Manchmal ist es besser, bestimmte Details nicht zu kennen.« Thomas stand nun direkt vor mir und strich mir sanft die Haare hinters Ohr.

Er strahlte eine Hitze aus, wie ein Stier und sein muskulöser, behaarter Oberkörper imponierte mir enorm.

Ich versuchte mich zu konzentrieren. »Ich finde das nicht so witzig, wie ihr beiden. Sagt es mir einfach, dann können wir den Abend in Ruhe ausklingen lassen.«

Evan drückte Thomas etwas beiseite, was mich entspannen ließ. »Das machen wir. Aber du versprichst dich nicht aufzuregen.«

»Ich reg mich jetzt schon auf, weil ihr so ein Gemähre daraus macht.« Ich war echt sauer. Konnten sie nicht einfach sagen, dass ich gerade Gürteltier oder Tüpfelhyäne gegessen hatte?

Evan lächelte weich. »Ich liebe dein Temperament.« 

»Und ich hasse es, hingehalten zu werden.«

»Ich konnte einfach nicht zulassen, dass er zurück kommt, und nochmal dein Herz bricht.«

Ich wollte gerade weiter zetern, bis die Worte in meinem Gehirn ankamen. Dann atmete ich stossartig aus.

»Wir sind eine Familie und da hat niemand zu stören. Besonders niemand, der nicht durch Blut an uns gebunden ist.« Thomas sprach das aus, als wäre es das selbstverständlichste der Welt.

»Du gehörst zur Familie, als Wandlerin und als Mutter meiner Kinder.« 

Ich starrte mit großen Augen Evan an. Nun war ich nicht mehr in der Lage zu atmen. Ich begann zu zittern. Als wäre mein Gehirn durchgebrannt, konnte ich keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ich wollte nur aus der Situation fliehen. Also lief ich los und quetschte mich zwischen beiden Männern hindurch und rannte durch den dunklen Garten bis an den Stromzaun. Ich berührte die Gitter und zischte auf.

Ich glaubte nicht, dass ich darüber klettern und dabei die Stromschläge ertragen konnte.

Sollte ich um Hilfe schreien? Das war vollkommen nutzlos, die Seite des Grundstücks war von der Siedlung abgewandt, niemand würde mich hören.

»Lena, Liebes, wir werden dir nichts tun. Hat es dir denn nicht auch geschmeckt, so viel wie du gegessen hast?« Evan schnurrte die Worte, als könnte er mich damit beruhigen.

Mir wurde augenblicklich schlecht und ich übergab mich. Dabei hielt ich mich am Zaun fest, atmete vor Schreck und Schmerz etwas von meinem Mageninhalt ein und hustete mir die Seele aus dem Leib.

Tränen vernebelten mir die Sicht und durch das laute Husten, konnte ich die beiden nicht mehr hören.

Die blanke Panik ließ mich krampfartig zusammenbrechen.

Starke Hände griffen nach mir und ich schlug um mich.

Thomas drückte mich fest an sich. »Tscht, alles wird gut Kleines.«

Mir blieb die Luft weg.

»Lass sie los, du bringst sie sonst um.«

Sein Griff lockerte sich, ich windete mich in seinen Armen und biss zu.

Thomas schrie auf und ließ mich los.

Ich rannte blindlings davon. Meine Sicht war immer noch nicht frei und ich lief dem nächstgelegenen Licht entgegen.

Das war doch das Gartenhaus? Vielleicht konnte ich mich dort drin irgendwo verstecken und dann verwandeln, um zu entkommen?

Die Tür war nicht abgeschlossen, ich schlüpfte hinein und zog sie hinter mir wieder zu. Für einen Moment blieb ich stehen und versuchte etwas mehr Sauerstoff zu bekommen. Ich rieb die Tränen aus meinen Augen und sah mich um.

Wie konnte selbst das Gartenhaus so verdammt aufgeräumt und ordentlich sein? Nirgends gab es eine Möglichkeit, mich zu verstecken um Zeit zu schinden. 

Mir war so schlecht. Sie hatten Paul nicht nur umgebracht, sondern mir zum Frass vorgesetzt. Ich war nicht in der Lage das zu begreifen. Das war Wahnsinn.

Der Türknopf drehte sich und riss mich aus meinen Gedanken. Und ich hatte immer noch kein Versteck gefunden.

Ich rannte zur Treppe, während sich die Tür öffnete.

»Lena, es ist vollkommen sinnlos zu fliehen. Du kannst uns sowieso nicht entkommen. Lass uns alles in Ruhe besprechen.«

Ich drehte mich mitten auf der Treppe in seine Richtung. Seine Ignoranz machte mich so endlos wütend. »Was wollt ihr mit mir noch besprechen? Das man Menschen, die einem nicht in den Kram passen, einfach von der Bildfläche verschwinden lässt, indem man sie auffrisst?«

»Wir sind Raubtiere, das liegt in unserer Natur.« Evan ging langsam an der Wand entlang Richtung Treppe. Er schien mir genug Raum geben zu wollen, nicht weiter fliehen zu müssen.

»Meine Natur ist das nicht. Sowas würde ich niemals tun und damit kann ich auch nicht leben. Das ist vollkommen verrückt, dass du das glaubst.«

»Es wird Zeit, dass du deine wahre Natur entdeckst.«

Es war zwecklos, ich wandte mich von ihm ab und wollte gerade weiter die Treppe hoch, als sie sich urplötzlich bewegte. Ich musste mich festhalten, um nicht herunter zu stürzen.

Die Stufen unter mir fuhren mechanisch in den Keller hinunter. Ich sah blaues Licht aus dem Dunkeln hervor scheinen.

»Was zum Henker?« Ich war nun vollkommen verwirrt. Was hatte Evan mit mir vor? Was war das für ein Raum?

Ruckartig kam die Treppe unten zum Stehen und ich konnte sie wieder loslassen. Unzählige Monitore leuchteten mich an. Es schienen Bilder von Überwachungskameras zu sein.

Wie eine Motte, fühlte ich mich davon magisch angezogen und machte ein paar Schritte darauf zu. Dann erkannte ich die Bilder. Jede Kamera war auf eine bestimmte Ecke oder Raum meines Hauses oder Terrasse gerichtet. Ich erkannte mein Wohnzimmer, die Küche, den Flur, die Kinderzimmer, mein Schlafzimmer aus mehreren Winkeln und sogar Bilder aus der Dusche und der Toilette. 

Er hatte eine Kamera in der Toilette versteckt?

Mein Magen drehte sich wieder um. Je mehr Privatsphäre ich in einem Raum suchte, umso mehr Kameras waren darauf gerichtet. Seit sechs Jahren hatte er alles von mir sehen können. Wann ich duschen war, wann ich aufs Klo ging, was ich dort genau machte… Ich wollte vor Scham im Boden versinken. Ich wollte meine Haut von meinem Fleisch kratzen, so voller Ekel war ich.

Wie konnte er mir das antun? Über Jahre hinweg? Und ich hatte ihm blind vertraut. Ich war überzeugt davon, dass ich ihm mehr bedeutete, als ein Sexobjekt und wir nicht nur Liebende, sondern auch gute Freunde waren.

Rebecca hatte von Anfang an recht. Ich hätte ihm nicht wieder vertrauen dürfen. Kein Wunder, dass auch die Beziehung zwischen ihr und Thomas erkaltet war. Sie hatte definitiv eine bessere Menschenkenntnis als ich und da konnte auch sein gutes Aussehen sie nicht ewig blenden. Rebecca war sogar richtig happy, dass ich Paul kennen und lieben gelernt hatte.

Ich hoffte so sehr, dass sie in Sicherheit wahr. Ich müsste Rebecca irgendwie warnen, dass sie nicht mehr zurückkommen sollte. Wer wusste schon, wozu Evan und Thomas noch fähig waren?

Der Schmerz zerriss mich beinahe, als ich an Laura und Maria dachte. Es wird schwer genug werden, hier alleine raus zu kommen. Mit den beiden Mädchen wäre es vollkommen unmöglich.

Ich musste den Gedanken verdrängen. Ich konnte es nicht ertragen sie in den Händen dieses Ungeheuers zu wissen. Evan würde sie zu genau solchen Monstern erziehen, wie er es selbst war. Kreaturen, die Menschen skrupellos töten und fressen würden.

Ich übergab mich wieder. Die Magensäure brannte in meinem Rachen und in meiner Nase. Tränen liefen mir wieder die Wangen herunter. Das hier war schlimmer als alles, was ich in meinem ganzen Leben jemals durchgemacht hatte. Schlimmer als jede Vergewaltigung, die ich über Jahre hinweg ertragen musste und jeder Albtraum davon, der mich Jahrzehnte geplagt hatte.

Womit hatte ich das verdient? Was hatte ich angestellt, um hier zu landen? War das der Preis, den ich für meinen Wunsch einer Familie bezahlen musste?

Wieder wollte ich einfach nur fliehen. Ich sah mich um und suchte nach einer Möglichkeit, wo ich mich verstecken könnte. Es musste hier einen Lüftungsschacht geben, wo ich mich als Maus nach draußen zwängen konnte.

Ich begann mich auszuziehen, zog mir schnell mein Shirt über den Kopf und hakte meinen BH aus. Gerade, als ich die Leggings herab gestreift hatte, kam Evan, dicht gefolgt von Thomas, gemütlich die Stufen herunter.

Ich verdeckte meine Brüste und sah sie wie ein Reh im Scheinwerferlicht ein Auto an.

»Du weißt, dass verwandeln sinnlos ist? Was du kannst, können wir schon um einiges länger als du.« Evans Blick war selbstzufrieden gesenkt und er lächelte.

»Bitte.« Meine Stimme zitterte und war kaum zu vernehmen.

»Um was bittest du uns?« Thomas stellte sich neben Evan. Er starrte mich Lüstern an und grinste breit.

»Lasst mich bitte gehen. Lasst mich mit meinen Kindern gehen. Ich werde niemandem etwas verraten. Kein Wort.«

Evan hob seinen Blick. Er starrte mich mit eiskalten, schwarzen Augen an. Das blaue Licht flimmerte leicht darin, was ihn noch unheimlicher wirken ließ. »Das sind meine Kinder und du gehörst auch mir.« Er machte einen Schritt auf mich zu und ich wich zittern einen zurück. »Entweder akzeptierst du die Natur der Wandler und ordnest dich unter, oder…« Er brach ab, sah zu Thomas rüber und nickte ihm zu.

Thomas ging zu einer großen Tiefkühltruhe, die ich bis jetzt überhaupt nicht bemerkt hatte.

Als er sie öffnete, überkam mich ein kalter Schauer und Gänsehaut breitete sich an meinem ganzen Körper aus. Das kam definitiv nicht von der Kälte, die das Gerät ausstrahlte.

Erst griff er mit links in die Truhe und hob etwas heraus.

Mir stockte der Atem.

Es war der abgetrennte Kopf von Paul.

»Eigentlich hätte ich am liebsten seinen Kopf für dich zubereitet. Aber Evan meinte, wir müssten dich langsam heran führen.« Er lachte gehässig. »Ich glaube, meine Idee war besser.«

Dann griff er mit der rechten Hand erneut in die Truhe und holte noch etwas heraus.

Ein markerschütternder Schrei aus meiner Kehle durchschnitt die Luft, als ich das bleiche Gesicht von Rebecca erkannte.

Thomas ignorierte meinen entsetzten Laut. »Ein bisschen schade ist es schon. Sie war echt verdammt gut im Bett. Aber diese Schmach, die sie mir angetan hatte, konnte ich nicht länger ertragen.«

Evan unterbrach ihn. »Außerdem setzte sie dir immer Flausen ins Ohr, dass du uns gegenüber skeptisch bleiben solltest. Das war nicht weiter zu tolerieren.«

»Rebecca, oh Gott nein.« Ich brach endgültig zusammen. Rebecca war neben meinen Kindern die wichtigste Person in meinem Leben. Ich liebte sie mehr als ich Evan jemals geliebt hatte. Mehr als ich Paul jemals hätte lieben können.

Ich kniete im Slip auf den Boden und heulte in meine Hände hinein. Würde dieser Albtraum denn niemals enden?

Schluchzend flehte ich Evan an. »Bitte lass mich gehen. Bitte lass mir meine Babys.«

Ein Weinkrampf schüttelte meinen Körper. Ich hyperventilierte.

Evan kam zu mir und ging direkt vor mir in die Hocke. Sanft hob er meinen Kopf, während ich wie verrückt Luft zog.

Mit rechts hielt er mir Mund und Nase zu, bis sich meine Atemfrequenz zwangsläufig beruhigen musste. Dann ließ er mich wieder los.

Flehend starrte ich in seine Augen. »Bitte, ich kann so nicht leben.«

»Das ist sehr schade. Ich hätte gehofft, du würdest Einsicht zeigen.«

Zärtlich glitten seine Finger durch meine Haare, dann ließ er mich los und stand auf. »Komm Thomas, lass uns noch ein letztes Mal Spaß mit ihr haben.«