Kneipenschlägerei - 2013

Ein Kapitel aus dem Prequel zu Shapes of Diversity

Evan - 33 Jahre

Content Notes:
Gewalt, Blut, Kraftausdrücke


Ich war genervt, Ben und Thomas bestanden darauf, dass ich mit ihnen wegging. Die letzten Wochen waren hart und meine Lust, etwas außerhalb meiner Arbeit zu unternehmen, lag bei null.
Wahrscheinlich nötigten sie mich deswegen dazu. Ich sollte endlich auf andere Gedanken kommen. Aber für was?  Das, was ich mir am meisten wünschte, hatte ich offensichtlich nicht verdient.

Logan war ebenfalls dabei. Als Partner von Ben gehörte er nach so vielen Jahren ohne Frage dazu. Ich mochte ihn, er war ein guter Kerl, doch er vertraute mir immer noch nicht vollständig, obwohl ich keine Konkurrenz für ihn war. Ben war ein Freund und schon lange nicht mehr mein Geliebter.

Ich hatte einige Whisky intus, als eine Gruppe von Männern in die Bar an den Tresen kamen, wo wir ebenfalls saßen. Kaum erblickten sie uns, spielte sich der eine von ihnen auf.

Er war mindestens so groß und breit gebaut wie mein Bruder. Mit verschränkten Armen blieb er vor uns stehen. »Na sieh mal einer an, ist das nicht die schwulste Band der Stadt?«

Logan stand auf. »Hast du ein Problem mit Homosexualität?«

Ben legte eine Hand auf seine Schulter.

Der Typ lachte hämisch. »Sieh mal an, die Riesenschwuchtel hält sein kleines Haustier zurück. Kommt es wenigstens oben wieder raus, wenn er dich fickt, Trethupe?«

Nun starrte jeder aus der Bar in seine Richtung. Ich seufzte und beobachtete das Ganze mit gehobenen Augenbrauen. Thomas war ebenfalls bereit, aufzuspringen.

»Neidisch?« Logan nickte ihm provozierend zu.

Der Typ spuckte angeekelt aus. »Dein Glück, dass du so ein Zwerg bist, sonst würde ich dir zeigen, wo dein Platz ist. Aber das wäre nicht fair.«

»Ich werde mit einem Typen wie dir schon fertig.« Logan reckte sein Kinn, doch der Typ wendete sich lieber mir zu und ignorierte ihn.

»Und du? Dir sieht man es von weitem an, schwuler gehts kaum.«

Ich verzog mein Gesicht zu einem schiefen Grinsen und lachte leise.

»Treibst du es mit dem Pudel da?« Sein Blick ging kurz zu Thomas, bevor er mich wieder anstarrte. »Oder macht ihr es euch am liebsten zu viert?«

»Er ist mein Bruder.« Thomas sprang empört auf, und ich hielt meine Hand vor seine Brust.

»Ach, das ist ja noch abartiger, es mit dem Bruder zu treiben, als generell Schwänze zu lutschen.«

Ich senkte meinen Blick und schüttelte den Kopf. »Junge, was ist dein Problem? Wir trinken hier ganz in Ruhe etwas und stören niemanden. Es gibt genug Platz für alle. Die Sonne scheint, die Getränke sind gut und wir haben dabei auch noch einen wundervollen Blick aufs Meer. Sucht euch einen Tisch und belästigt uns nicht weiter.«

Er drehte sich lachend zu seinen Kumpels. »Der hier klingt nach der Chefschwuchtel.« Dann wendete er sich wieder an mich. »Wir wollen so ekelhafte Kreaturen wie euch nicht um uns haben. Wie ihr alles mit Aids verseucht und überall eure schwulen Viren hinterlasst.«

Genervt starrte ich an die Decke und seufzte. »Wir sind gesund. Du hingegen riechst nach ’nem Tripper.«

Keine Sekunde später hatte ich seine Faust im Gesicht. »Du unverschämtes Stück Scheiße. Dir werde ich Manieren beibringen.« Er ergriff meine Weste und hielt mich fest.

Ich grinste und starrte in seine Augen. Sein Schlag war kräftig, meine Wange pochte unangenehm. Dabei hörte ich mein eigenes Blut rauschen und ein Gefühl der Schwerelosigkeit überkam mich, als sich das Adrenalin langsam in meinem Körper ausbreitete. 

»Pete, lass das. Die Jungs sind ganz normale, zahlende Gäste. Wenn ihr ein Problem miteinander habt, dann klärt das außerhalb meiner Terrasse.« Der Barkeeper sprach mit fester Stimme, aber das leichte Zittern darin entging mir nicht.

Dieser Pete betrachtete mich mit wutverzerrtem Gesicht. Es gefiel ihm wohl nicht, dass ich nach dem Schlag immer noch lächelte. »Es scheint mir, die Schwuchtel will mehr.«

»Wir können das sehr gern auf der Promenade klären.« Ich zeigte auf den breiten, sandigen Gehweg.

Meine innere Freude, diesem Typen gleich die Scheiße aus dem Leib zu prügeln, glich beinahe sexueller Erregung. Ich hatte richtig Bock drauf. Die perfekte Möglichkeit, meiner Frustration der letzten Wochen Luft zu machen.

»Ich finde es unfair, gegen so einen mageren Kerl wie dich zu kämpfen. Aber du brauchst wohl die Lektion.«

»Wir werden sehen, was unfair ist, Süßer.« Ich grinste noch breiter und warf ihm einen Luftkuss zu.

Angeekelt ließ er mich los und musterte mich nochmal von Kopf bis Fuß. Erneut spuckte er auf den Boden.

»Spar dir deine Spucke. Ich mag es feucht, wenn man mich am Arsch leckt.«

Eine Ader trat an Petes Stirn hervor. Ich sah, wie er wieder auf mich zukommen wollte, um mir vermutlich noch eine ins Gesicht zu donnern, aber einer seiner Freunde hielt ihn zurück. »Nicht hier.«

»Die Frage ist, ob die Schwuchtel genug Mut hat, das auf öffentlicher Straße nochmal zu sagen.«

Ich stand ebenfalls auf, rückte meine rote Lederweste zurecht und knackte meine Knöchel. »Kein Problem, ich wiederhole es für dich zum mitmeißeln. Höhlenmenschen wie du machen das doch so, oder?«

Ich musste lachen, als ich sah, wie sein Kopf rot anlief und dass er scheinbar Mühe hatte, ruhig zu bleiben. Schnaubend wie ein Stier drehte er sich auf dem Absatz um und schritt von der Terrasse. Seine beiden Freunde warfen mir einen wütenden Blick zu, bevor sie ihm folgten.

Bens tiefe Stimme erklang hinter mir. »Evan, bist du dir sicher? Der Typ ist ein ziemlicher Schrank.«

Ich lächelte meinen Freund an. »Und wer hat mich trainiert, gegen Größere zu kämpfen?«

Ben lachte markerschütternd. »Na ich.«

»Und dann machst du dir Gedanken?«

»Du bist nicht mehr zwanzig und hast viel abgenommen.«

»Lass das mal meine Sorge sein.« Ich klopfte ihm auf die Schulter und ging. Dabei hörte ich, wie mir alle drei folgten.

Als ich nur ein paar Meter von Pete wegstand, atmete ich nochmal die angenehm warme Sommerluft ein und stürzte mich dann in den Kampf. Mein Magen kribbelte freudig, als würde ich ins Wasser springen, um mich zu wandeln.

Meine Faust traf direkt seine Nase und das Knacken ließ mein Herz höher schlagen. 

Geschickt packte er mich an der Weste und zog mich an sich ran. Mit seiner Rechten verpasste er mir einen Kinnhaken.

Ich hörte es knirschen und ein metallischer Geschmack breitete sich auf meiner Zunge aus.

Mein Knie schnellte in seinen ungeschützten Schritt, sodass er gezwungen war, mich loszulassen.

Vor Schmerzen krümmte er sich, während ich vorsichtig meinen Mund abtastete und einen losen Zahn herausholte.

Ich spuckte roten, aufgeschäumten Speichel aus. Dann wischte ich mir über die Lippen. Das Blut hörte nicht auf zu fließen und dunkelrote Schlieren zeigten sich auf meinem Unterarm. Ich fühlte keinen Schmerz mehr. Jetzt war ich erst so richtig in Stimmung gekommen. Aber es sollte trotzdem Spaß machen. Also wartete ich darauf, dass er mich wieder ansah. Was zu dauern schien. »Thomas, kannst du mal meinen Zahn nehmen und den Barkeeper fragen, ob er ein Glas kalte Milch zur Verfügung stellen kann? Ich würde den gern zurückhaben.« Dabei ließ ich meine Augen nicht von Pete. Den Zahn hielt ich Thomas hin, der ihn mir abnahm. Ich hörte ihn davonschreiten. 

Pete hatte sich wieder gefasst. Sein Schädel glich einer überreifen Ochsenherztomate.

Ich musste mit dem ganzen Blut, das aus meinem Mund floss, wie ein Psychopath wirken. Aber das war mir recht. Ich sah ihm an, dass es ihn verunsicherte und er dadurch zögerte.

Seine Kumpel feuerten ihn an. »Lass dich von der halben Portion nicht verarschen.« »Den machst du mit links fertig.«

Pete rannte los und wollte mich erneut direkt ins Gesicht schlagen.

Ich wich ihm mühelos aus und stellte dem Kerl ein Bein.

Er stolperte und flog auf die Fresse.

Prompt versuchte er sich hochzustemmen, aber ich trat zu, sodass er gleich wieder im Dreck landete.

Gemütlich ging ich um ihn herum. Wann immer er Anstalten machte, sich aufzurappeln, überkam mich ein Zucken in meinem Bein. Ärgerlich. Es wäre so schön gewesen, wenn er sich nochmal aufgerafft hätte. »Na komm, die Schwuchtel hat sich richtige Action erhofft.«

Seine Freunde schwiegen und starrten uns schockiert an. Dieser Kampf war definitiv zu einfach. Ich wollte noch etwas mehr Spaß.

Pete hustete. »Steht nicht so dumm rum, gebt’s dem dreckigen Speerschlucker.«

Schon wieder überkam mein Bein ein Zucken und traf seine Weichteile.

Pete krümmte sich vor Schmerz, während er jämmerlich winselte.

»Evan, pass auf!« Ben klang entsetzt. Seine Stimme war plötzlich ungewohnt hoch.

Ich drehte mich um und sah, wie beide Kumpels von Pete auf mich zurannten. Der eine hatte ein Messer gezückt.

Im letzten Augenblick konnte ich seinem Hieb ausweichen und die Klinge sauste haarscharf über meinen Kopf hinweg. Dabei verlor ich beinahe das Gleichgewicht. Der Alkohol machte sich bemerkbar.

Da traf mich der Fuß des anderen und ich stürzte mit dem Gesicht ins Blumenbeet. Meine Schulter schlug hart gegen die gepflasterte Umrandung.

Der Typ trat auf mich ein, aber nicht mit ausreichend Kraft.

Ich drehte mich auf den Rücken, und fasste nach seinem Fuß, um ihn von den Beinen zu ziehen.

Sein Hinterkopf knallte auf die Promenade.

Ben hatte den Kerl mit dem Messer fest im Griff. Wie einen räudigen Köter hielt er ihn an den Haaren mit seinem langen Arm von sich weg. Mit der freien Hand hatte er die von dem Typen gepackt, in der er die Waffe hielt.

Das Gesicht des Mannes verzerrte sich immer mehr, bis die Klinge aus seinen zitternden Fingern glitt.

Ich stöhnte frustriert, als ich sah, wie Pete danach griff und wieder auf mich zurannte.

Er schäumte wortwörtlich vor Wut. »Ich bringe dich um du dreckige Schwuchtel.«

Besonders kreativ war seine Auswahl an Kraftausdrücken nicht. 

Logan wollte einschreiten und sich Pete schnappen. Als er mir einen kurzen Blick zuwarf, schüttelte ich den Kopf. Er verstand mich und blieb stehen.

Wie beim American Football versuchte Pete mich niederzutrampeln und mir zeitgleich die Klinge in meinen Bauch zu rammen.

Dem Messer konnte ich ausweichen, aber seine breite Schulter ließ mich zu Boden gehen. Dabei stürzte er auf mich.

Die Klinge sauste nur wenige Zentimeter neben meinem Kopf auf das Pflaster und zerbrach.

Bevor er nochmal versuchen konnte, mit der zerbrochenen Klinge zuzustechen, versuchte ich, ihn mit aller Kraft von mir runterzudrücken.

Für den Bruchteil einer Sekunde verspürte ich Panik, als ich das geschwärzte Metall direkt auf mein Gesicht zuschnellen sah.

Mit einem gezielten Tritt konnte ich mich unter ihm befreien und wegrücken.

Das Messer traf meine Weste. Die zerbrochene Klinge schaffte es nicht durch das feste Material. Trotzdem keuchte ich vor Schmerz durch den Schlag auf.

Frustriert zog er die stumpfe Klinge immer wieder über das Leder, bis es endlich durchdrang und sich brennend in mein Fleisch grub.

Ich schrie auf.

Plötzlich blieb die Zeit stehen.

Nein, es bewegte sich alles in Zeitlupe.

Ich fühlte mich, als würde ich den Kampf von außen beobachten. Dabei dachte ich an Raoul und seine namenlosen Geschwister. Unerträglicher Schmerz breitete sich in mir aus. Nicht wegen den Verletzungen, sondern vor Trauer. Aber Rosa lebte und sie brauchte mich.

Beflügelt durch den Gedanken an sie bewegte sich mein Körper ohne mein bewusstes Zutun. 

Ich griff nach Petes Handgelenk mit dem Messer, das er dank des Leders nicht weiter über meinen Bauch ziehen konnte. Eisern hielt ich ihn fest, während ich meinen anderen Arm um seinen Nacken schlang und ihn an mich zog.

Die Klinge drückte sich tiefer in mein Fleisch. So konnte ich sein Gewicht nutzen, um ihn von mir runterzudrehen.

Er hatte das Messer losgelassen und sie glitt aus meiner Wunde. Gepresst stöhnte ich auf.

Ich kniete neben ihm, während er versuchte, Halt zu finden. Die Chance gab ich ihm nicht. Ich drückte seine Brust runter und meine Faust schnellte wiederholt in sein Gesicht, als würde ich mit der Bassgitarre einen vier viertel Takt spielen, indem ich alle Noten betonte. Bum, bum, bum, bum …

Starke Hände packten mich von hinten. Ich blickte hoch und wollte zuschlagen, als ich Logan erkannte. »Evan, hör auf, du bringst ihn noch um.«

Ich ließ mir von ihm auf die Beine helfen. Blut quoll aus der Wunde an meinem Bauch.

Logan riss sich sein Shirt vom Leib, knüllte es zusammen und presste es auf den Schnitt. »Drück fest drauf. Schaffst du das?«

Ich nickte und drückte den Stoff kräftig auf die Verletzung.

Logan kniete sich neben Pete und sah dann wieder hoch. »Kann jemand verdammt nochmal den Notarzt rufen?«

Erst da erkannte ich, was ich angerichtet hatte. Petes Gesicht war nicht mehr zu erkennen. Vollkommen blutverschmiert atmete er schwer durch den offenen Mund. Die Nase war als das nicht mehr zu identifizieren.

Polizeisirenen erklangen.

Ich taumelte und wurde wieder von starken Händen gegriffen. »Bruder, das war heftig. Wie schwer hat er dich verletzt?«

»Ich glaube, nicht so schlimm, wie ich ihn erwischt habe. Das Messer …« Stechende Schmerzen raubten mir den Atem und ich krümmte mich.

Thomas half mir, mich auf den Boden zu setzen.

»Die Klinge war sehr kurz.« Keuchend sah ich mich um.

Ben hielt immer noch den Typen fest, während jemand, den ich nicht kannte, sich um den kümmerte, der nach mir getreten hatte.

Ihm schien es recht gut zu gehen. Er hielt sich einen Eisbeutel an den Hinterkopf und saß genauso auf dem Boden wie ich. Sein Blick war aber klar und aufmerksam.

Pete stöhnte und Logan half ihm, sich aufzusetzen. Er nuschelte etwas Unverständliches.

Weitere Personen kamen dazu, brachten Wasser und Tücher und versuchten, uns zu verarzten.

Dankbar nahm ich ein Glas an, während Thomas mir die Weste auszog, meine Wunde begutachtete und reinigte.

»Es blutet nicht mehr, jedenfalls nicht nach außen. Trotzdem solltest du ins Krankenhaus.«

Mir schwirrte der Kopf. Es dauerte, bis ich verarbeitete, was er gesagt hatte. »Was ist mit meinem Zahn, ich will keine Zahnlücke. Eine Krone ist keine Alternative.«

Thomas lachte. »Du hast ein Loch seitlich an deinem Bauch und alles, an was du denken kannst, ist dein makelloses Lächeln?« Er sprühte Desinfektionsmittel auf die Wunde und ich zischte auf. »Der Erste Hilfe Kasten ist hier bestens bestückt. Dein Zahn steckt in einer Zahnrettungsbox.«

Ich lächelte bei der guten Nachricht. So hatte ich ein etwas größeres Zeitfenster, ihn mir wieder einsetzen zu lassen.

»Dabei mag ich dein Aussehen jetzt.« Thomas wickelte einen Kompressionsverband um meine Taille.

»Ach ja?«

»Wie der Kannibale aus Ravenous.«

In dem Moment musste ich auch lachen, aber bereute es direkt. Ich erinnerte mich, wie ich es geschafft hatte, ihn mit dreizehn zu dem Horrorfilm ins Kino zu schmuggeln.

Erneut hörte ich Sirenen. Der Rettungswagen war da.

Ben sprach zusammen mit einigen anderen Augenzeugen mit der Polizei. Den Typen hatte er losgelassen und dieser stand, mürrisch auf den Boden starrend daneben.

Pete sah übel aus, aber schien stabil bei Bewusstsein zu sein.

Schmerzlich wurde mir bewusst, was passiert wäre, wenn Logan mich nicht aufgehalten hätte. Ich hatte keinerlei Mitleid verspürt, als ich sein Gesicht mit meiner Faust bearbeitet hatte. Es war zu befriedigend, auf ihn einzuschlagen. Warum empfand ich so viel Lust an Gewalt, obwohl ich genau wusste, wie zerstörerisch sie war?

Die Empathiefähigkeit von Logan erstaunte mich. Er hatte die Situation umgehend richtig eingeschätzt und eingegriffen, bevor es zu spät war. Wahrscheinlich traute er mir deswegen nicht. Er erkannte das Monster hinter meiner seriösen Fassade. Meinen inneren Dämon, den ich einfach nicht loswerden konnte.

Nachdem die Sanitäter Pete begutachtet und versorgt hatten, wollten sie uns beide in die Notaufnahme fahren.

Ich wendete mich an Logan und griff nach seiner Hand. »Danke, dass du mich aufgehalten hast.«

Ernst starrten seine stahlblauen Augen in meine. Er antwortete mir nicht, aber nickte.


In der Notaufnahme wurde ich relativ zügig per Ultraschall nach inneren Blutungen untersucht. Die Wunde wurde gespült und vernäht. Trotzdem würde eine Narbe zurückbleiben, was mich ärgerte. Mindestens genauso, wie die ruinierte Designerweste, die ich notgedrungen wieder angezogen hatte.

Für den Zahn versuchte ich mit dem Versprechen auf ein paar Extrascheinchen, einen Zahnarzt dazu zu bewegen, ihn mir heute noch einzusetzen. Da mein Zahn in einem Rettungskit lag, hielt es keiner für nötig, mich vor sechs Uhr früh am nächsten Morgen zu behandeln. Dafür war ich definitiv zu ungeduldig. Zwischen einigen Nachrichten und Telefonaten fragte ich nach Pete.

Der Polizei hatte ich meine Sicht der Situation geschildert und erklärt, dass ich von einer Anzeige absehe. Es lohnte sich nicht, wegen so einem Vollpfosten ein Verfahren in Gang zu setzen. Ich hatte meine Frust an ihm ausgelassen. Die Frage war, ob Pete das genauso handhaben würde. Wahrscheinlich hing es vom Schweregrad seiner Verletzungen ab.

Ich wartete auf den Rückruf eines Zahnarztes, während Pete in den Flur geschoben wurde. Durch den Verband sah man nicht viel von seinem Gesicht.

Obwohl seine Augen fast vollkommen zugeschwollen waren, entdeckte er mich. »Na sieh mal einer an. Da ist ja die Chefschwuchtel. Du kannst von Glück reden, dass ich durch die Schmerzmittel higher bin als Snoop Dog.« Er nuschelte etwas beim Reden.

Ich musste lachen. »Hat es dir nicht gereicht, dass ich dein Gesicht ummodelliert habe?«

»Ich hatte schon immer Lust darauf, eine Nase aus dem Katalog auszusuchen. Du hast mir nur einen Gefallen getan.«

Scheiße, der Typ musste wirklich vollkommen high sein. »Morphin?«

Er grinste und ich sah, dass ihm sogar mehrere Zähne fehlten. »Für ’ne Schwuchtel kannst du echt hart zuschlagen.«

»Ich glaube nicht, dass das von der sexuellen Orientierung abhängt.«

»Ist man da nicht automatisch so weibisch?«

Grinsend schüttelte ich den Kopf.

»Oh die Zahnlücke steht dir. Wirkst weniger schwul.«

»Danke.«

Für eine Weile schwiegen wir, bis Pete die Stille unterbrach. »Warum hat dein Freund mir geholfen, obwohl ich ihn beleidigt und dich mit dem Messer angegriffen hatte?«

»Weil auch homophobe Arschlöcher wie du ein Recht zu leben haben.«

Er wirkte nachdenklich. Ich dachte, das Gespräch wäre vorbei, aber anscheinend hatte Pete Redebedarf.

»Warum bist du noch hier?«

»Ich warte auf die Rückmeldung des Zahnarztes und wollte nicht nachhause und meine Frau ängstigen. Sie soll glauben, ich habe einen schönen Abend mit den Kumpels.« Wegen stechender Schmerzen musste ich kurz durchatmen. Ich hatte nicht so geiles Zeug bekommen wie Pete, aber das war auch ok. Ich brauchte den klaren Kopf. »Außerdem wollte ich wissen, ob bei dir alles in Ordnung ist. Hätte mich Logan nicht aufgehalten, wärst du jetzt vermutlich tot.«

»Du hast eine Frau?«

Ich verdrehe die Augen. Das war die einzige Information, die bei ihm hängen blieb? Unglaublich. »Ja, ich bin mit einer Frau verheiratet.«

»So aus Schein?«

»Nein. Ich bin bisexuell, stehe auf beide Geschlechter.«

»Wie soll das denn gehen? Beides? Hast du da einen Typ? Männer, die weiblich aussehen oder Frauen, die männlich aussehen?«

»Junge, es tut mir leid, nicht jeder ist so eingeschränkt wie du. Ich habe mehrere Typen, die ich attraktiv finde. Und ich fühle mich deswegen nicht weniger männlich, weil ich zugeben kann, dass ich auch bei einem Mann einen Harten bekomme.«

Es schien mir, als würde Pete verlegen schauen, aber das war bei seinem aufgequollenen Gesicht schwer zu beurteilen. »Ich dachte immer, mit mir stimmt etwas nicht, wenn das passiert.«

»Wie bitte?« Ich war mir sicher, mich verhört zu haben.

»Es ist mir so unangenehm, aber manchmal werde ich geil, wenn ich einen Mann ansehe. Jedenfalls bei meinem Kumpel Mike.«

»Und was ist daran das Problem?«

»Er würde mir sicher die Freundschaft kündigen, wenn er das wüsste.«

»Immer noch besser, als wenn Einer mit dem Messer auf dich losgeht, nur weil du solche Gefühle hast.«

»Das traut er sich nicht, er ist kleiner als ich.«

»Das bin ich auch. Heute schonmal in den Spiegel geschaut?«

Pete versuchte, zu lachen, aber es war nur ein elendiges Keuchen und Husten.

Ich sah ihm direkt in die Augen, was ich bis jetzt nicht getan hatte. »Und was ist, wenn er dasselbe fühlt?«

»Das ist aber nicht natürlich.«

»Wer sagt das?«

»Das steht in der Bibel. Du sollst nicht bei einem Mann liegen, wie bei einer Frau.«

Ich seufzte genervt. »Der Römerbrief. Dieser verbietet jegliche Sexualität, die nicht zur Fortpflanzung dient. Die Geschichten in dem Buch wurden von eingeschränkten, alten Männern geschrieben.«

»Es ist das heilige Wort Gottes!«

Unterschwellig stieg langsam die Wut in mir auf und ich lehnte mich zurück, um an die Decke zu starren. »Ach, ist es das? Dafür steht überraschend viel über Liebe zwischen Männern darin und im Hebräischen existieren sechs Geschlechter. Davon wurden vier bei der Übersetzung gestrichen. Gegebenenfalls waren die alten Männer nicht so gescheit beim Aufschreiben seiner Worte und haben Vielfalt nur notiert, wo sie es selber nicht verstanden haben und woanders dafür mit ihrer persönlichen Meinung ergänzt.«

»Hmm.«

»Das zweite Buch Samuels: Weh ist mir um dich, mein Bruder Jonatan. Du warst mir sehr lieb. Wunderbarer war deine Liebe für mich als die Liebe der Frauen.« Ich setzte mich wieder aufrecht hin und blickte ihn an. »Oder noch besser, das Evangelium des Johannes: Einer von den Jüngern lag an der Seite Jesu. Es war der, den Jesus liebte.«

»Das steht in der Bibel?«

»Ja. Noch nie gelesen?«

»Nein.«

»Solltest Du vielleicht mal.«

»Du hast es getan, obwohl du schwul bist?«

»Immer noch bisexuell, aber ja. Ich stamme aus einer katholischen Familie.«

Pete schien wieder seine grauen Zellen zu bemühen, was in seinem Zustand wohl nicht besonders leicht sein durfte. Er schwieg lange.

Ein drittes Mal unterbrach er die Ruhe des Warteraumes. »Ich werde über alles nachdenken müssen. Ich bin froh, dass ich dich angegriffen habe.«

Ich hob belustigt meine Augenbrauen. Wie high konnte man eigentlich sein? »Das freut mich für dich.«

Mein Handy klingelte. Es war die Zahnklinik.

»Ich wünsche dir gute Besserung und eine hübsche neue Nase«, sagte ich noch, stand auf und ging raus zum Telefonieren.